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Taxi

Titel: Taxi
Autoren: Karen Duve
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wurde. Es war natürlich kompletter Quatsch, was ich hier machte. Wahrscheinlich würden wir nicht einmal bis Castrop-Rauxel kommen. Der Affe kletterte wieder auf den Beifahrersitz, öffnete geschickt das Handschuhfach und verstreute das Wartungsheft, ein Fenstertuch, den Eiskratzer, eine Packung Taschentücher und den Inhalt einer Dose Fruchtdrops im Wagen.
    »Verdammt«, brüllte ich ihn an, »kannst du nicht mal fünf Minuten stillsitzen.«
    Der Schimpanse sackte in sich zusammen und zog den Kopf ein. Er krempelte die Lippen nach außen und machte leise »hn-hn-hn«. Ich tauchte halb ab und sammelte mit rechts ein paar von den Fruchtdrops auf und drückte sie ihm in die Hand.
    »Entschuldigung«, sagte ich, »du kannst natürlich nichts dafür, aber wir stecken ziemlich tief drin.«
    Der Schimpanse legte sich einen Drops zwischen Unterlippe und Zahnfleisch und machte ein unglückliches Gesicht. Jetzt kam das Maschener Kreuz. Ich hielt mich Richtung Hannover. Das Horster Dreieck. Ich hielt mich immer noch Richtung Hannover. Was für ein Wahnsinn. Im Grunde hatte ich es schon immer gewusst: In dem Moment, in dem ich zum ersten Mal eine eigene Entscheidung traf, würde es eine Katastrophe geben. Der Schimpanse kletterte auf den Rücksitz. Diesmal langsam und ohne mich zu berühren. Er setzte sich so weit von mir weg, wie es nur irgend ging, und dann stieß er einen schrillen, wütenden Schrei aus: »Aaargh.«
    Ich war nichts, ich konnte nichts, und jetzt hasste mich auch noch der Schimpanse. Der hatte überhaupt keine Lust mehr, mit mir durchzubrennen. Alles, was ich anpackte, ging schief. Ich nahm meine Gewinnchancen nicht wahr, und ich bekam nicht einmal mehr einen Kleinwüchsigen ins Bett, und jetzt ging Marco zurück in den Jackpot und irgendeine langweilige Psychologiestudentin würde bei ihm einziehen.
    Der Schimpanse kam wieder näher, schnüffelte an meiner Schulter und durchwühlte leise schmatzend meine Haare nach Ungeziefer. Wenn ich ihn zurückbrachte, würde er wahrscheinlich den Rest seines Lebens im Showgeschäft verbringen müssen. Puppenwagen schieben, aus Kaffeetassen trinken und Matrosenanzüge tragen.
    Der Schimpanse legte seine große Hand auf meinen Kopf und drückte ihn zur linken Seite, um mich besser hinter den Ohren lausen zu können.
    »He«, sagte ich und versuchte meinen Kopf frei zu bekommen.
    Daraufhin drückte der Affe fester. Seine Hand war wie ein Schraubstock.
    »Hör auf«, sagte ich und stieß mit dem Ellbogen nach ihm. Der Schimpanse kreischte wütend und schlug mir mit beiden Unterarmen auf den Kopf. Es fühlte sich an, als würde er mich mit Trommelstöcken bearbeiten. Das Biest sprang auf den Beifahrersitz, entblößte die schrecklich großen Eckzähne, beugte sich mit hängenden Armen vor und kreischte mir direkt ins Gesicht.
    Ich musste hier raus. So schnell wie möglich. Bevor der mir Stücke aus dem Gesicht fetzte und meine Finger wie Bananen durchbiss. Und natürlich fuhren wir gerade durch einen Baustellenabschnitt ohne Standspur.
    »Aaargh«, schrie der Schimpanse, griff mit einer Hand ans Lenkrad und ruckelte daran. Ich bremste und versuchte gegenzuhalten, aber ich hatte nicht die geringste Chance. Dieser Affe besaß unglaubliche Kräfte. Das Taxi schlingerte über zwei Fahrspuren, schrammte das Heck eines LKWs mit Brummi wünscht gute Fahrt- Aufkleber und verschob eine Reihe hüfthoher stählerner Fahrbahnbegrenzungen. Funken sprühten. Der Schimpanse ließ wieder los, um sich einem ausgiebigen Tobsuchtsanfall hinzugeben, und ich brachte das Taxi noch einmal unter Kontrolle. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. So langsam wie möglich fahren, um den immer wahrscheinlicher werdenden Unfall glimpflich ausgehen zu lassen? Aber das Vieh neben mir war nicht nur unberechenbar, sondern auch bereit zu brutaler Gewalttätigkeit. Wenn ein Schimpanse erst mal einen Angriff gestartet hat, kann man sich jede Unterwerfungsgeste schenken. Da hinten war die Baustelle zu Ende. Ich trat aufs Gas. Ich wollte so schnell wie möglich dorthin und dann von der Straße runter und nichts wie raus aus dem Auto. Noch war der Affe damit beschäftigt, sich kreischend und zuckend auf dem Beifahrersitz zu winden. Ich überholte den wild hupenden Laster, klammerte mich mit beiden Händen ans Lenkrad, die Augen starr dorthin gerichtet, wo ich den Beginn des rettenden Standstreifens vermutete. Und dann hatte ich ihn erreicht, ich musste ihn nur noch ansteuern und bremsen. Aber bevor ich das tun
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