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Dornenschwestern (German Edition)

Dornenschwestern (German Edition)

Titel: Dornenschwestern (German Edition)
Autoren: Philippa Gregory
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Tower of London

Mai 1465
    M eine Mutter schreitet voran – Erbin des großen Vermögens ihrer Familie und Gemahlin des bedeutendsten Untertanen im ganzen Königreich. Als Nächste folgt Isabel, denn sie ist die Älteste. Dann komme ich, als Letzte, ich komme immer als Letzte. Viel kann ich nicht sehen, als wir den prächtigen Thronsaal des Towers of London betreten. Meine Mutter führt meine Schwester vor den Thron, macht einen Knicks und tritt zur Seite. Isabel sinkt tief hinunter, wie man es uns gelehrt hat, denn ein König ist ein König, auch wenn er ein junger Mann ist und mein Vater ihn auf den Thron gesetzt hat. Und seine Frau wird zur Königin gekrönt werden, ungeachtet dessen, was wir von ihr halten. Als ich vortrete, um meinen Knicks zu machen, kann ich zum ersten Mal einen Blick auf die Frau werfen, die zu ehren wir an den Hof gekommen sind.
    Es verschlägt mir schier den Atem. Sie ist die schönste Frau, die ich je im Leben gesehen habe. Augenblicklich verstehe ich, warum der König die Armee anhalten ließ, kaum war sein Blick auf sie gefallen, und sie innerhalb weniger Wochen heiratete. Sie hat ein Lächeln, das langsam wächst und erstrahlt wie bei einem Engel. Ich habe Statuen gesehen, die neben ihr plump wirken würden, ich habe gemalte Madonnen gesehen, deren Züge derb wären, verglichen mit ihrer blassen durchscheinenden Schönheit. Ich erhebe mich und starre sie an wie ein erlesenes Bild; ich kann die Augen nicht von ihr lösen. Unter meinem prüfenden Blick erwärmen sich ihre Züge, sie wird rot und schenkt mir ein Lächeln, und ich kann nicht anders, als sie anzustrahlen. Darüber muss sie lachen, als fände sie meine offene Bewunderung amüsant. Dann trifft mich der entrüstete Blick meiner Mutter, und ich trippele an ihre Seite, wo meine Schwester Isabel mürrisch dreinblickt.
    «Du hast sie angeglotzt wie eine Schwachsinnige», zischt sie. «Blamierst uns alle miteinander. Was würde Vater sagen?»
    Der König tritt vor und küsst meine Mutter voller Wärme auf beide Wangen.
    «Habt Ihr von meinem lieben Freund gehört, Eurem Lord?», fragt er sie.
    «Arbeitet fleißig in Euren Diensten», antwortet sie prompt, denn Vater versäumt das Bankett heute Abend und die ganzen Feierlichkeiten, weil er sich mit dem König von Frankreich und dem Herzog von Burgund trifft. Er kommt mit diesen mächtigen Männern der Christenheit zusammen als Erster unter Gleichen, um Frieden mit ihnen zu schließen, jetzt, da der schlafende König geschlagen wurde und wir die neuen Herrscher von England sind. Mein Vater ist ein großer Mann, er vertritt den neuen König und ganz England.
    Der König, der neue König – unser König –, deutet eine spöttische Verneigung vor Isabel an und tätschelt mir die Wange. Er kennt uns, seit wir kleine Mädchen waren – zu klein, um an solchen Banketten teilzunehmen – und er ein Junge in der Obhut unseres Vaters. Inzwischen sieht meine Mutter sich um, als wären wir zu Hause in der Burg von Calais und als suchte sie nach etwas, was die Diener falsch gemacht haben. Ich weiß, dass sie darauf brennt, eine Nachlässigkeit zu entdecken, von der sie später meinem Vater berichten kann, Beweis dafür, dass diese wunderschöne Königin ihrer Position nicht gewachsen ist. Ihr mürrischer Gesichtsausdruck lässt mich vermuten, dass sie nicht fündig wird.
    Niemand mag die Königin, und auch ich sollte sie nicht bewundern. Es sollte uns gleichgültig sein, dass sie Isabel und mich freundlich anlächelt, dass sie sich von ihrem prächtigen Stuhl erhebt, vortritt und die Hand meiner Mutter ergreift. Wir sind alle fest entschlossen, sie nicht zu mögen. Mein Vater hat für den König die Heirat mit einer französischen Prinzessin geplant, eine ausgezeichnete Partie. Mein Vater hat den Boden bereitet und den Ehevertrag entworfen, er hat die Menschen, die die Franzosen hassen, davon überzeugt, dass es eine gute Sache für ihr Land sei, Calais zu sichern, ja, dass wir womöglich sogar Bordeaux wieder unter unseren Einfluss bringen könnten. Doch dann sagte Edward, der neue König, der herzerweichend gutaussehende und bezaubernde neue König, unser lieber Edward, der für meinem Vater wie ein jüngerer Bruder und für uns fast so etwas wie ein lieber Onkel ist, so beiläufig, als bestellte er sein Abendessen, er sei schon verheiratet und man könne nichts dagegen tun. Schon verheiratet? Ja, und zwar mit ihr.
    Jeder weiß, dass die heimliche Heirat ohne den Rat meines Vaters ein
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