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Taxi

Titel: Taxi
Autoren: Karen Duve
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Taxifahrer auf. Wahrscheinlich fuhr er jede Nacht mit dem Taxi nach Hause, ohne jemals zu bezahlen. Welcher Fahrer hatte schon Lust, sich wegen einer unbezahlten Kurztour stundenlang auf einer Polizeiwache herumzuärgern. Darauf spekulierten diese Typen doch.
    Ich hielt vor dem Hochhaus.
    »Acht Mark.«
    »Habkeingeld.«
    Er versuchte, die Tür mit dem Fensterheber zu öffnen, dann erwischte er den richtigen Griff und fiel vom Rücksitz auf die Straße. Ich stieg aus, ging um mein Taxi herum und sah zu, wie er sich an der offenstehenden Tür hochzog und dann am Kofferraum aufrichtete.
    »Ich komme mit«, sagte ich. »Wenn du oben in deiner Wohnung kein Geld hast, nehm ich mir ein Pfand.«
    »Nein«, rief er vor lauter Schreck schon halb ernüchtert, »ich habja nichs. Sie brauchnichtmitsukomm.«
    Ich schlug die Tür zu und schloss das Taxi ab. Es stand halb auf der Straße.
    »Nein«, flehte der Säufer noch einmal, »nichmit raufkomm. Ich habja gar nichts.«
    Ich ging davon aus, dass er nichts hatte, was ich gebrauchen konnte. Aber ich wollte ihm irgendetwas wegnehmen und dann unten in die Büsche werfen. Sein Kopfkissen oder seine Schuhe.
    Ich schubste ihn vor mir her, während ich ihn gleichzeitig am Kragen in der Senkrechten hielt.
    »Was hast du dir gedacht? Dass ich dich nach Hause fahre und hinterher deine Pisse von den Polstern wische – für nichts? Wieso glaubst du, dass du mich nicht bezahlen musst? Es ist dir egal, was ich für einen Ärger mit dir habe, stimmt’s? Hauptsache, du kommst nach Hause. Ich bin bloß der Trottel, der dich fährt.«
    Er war kaum kleiner als ich und bestimmt noch keine fünfzig Jahre alt, aber körperlich war er ein Wrack. Ein Spinnenmännchen. Ich hätte ihn mit einer Hand töten können.
    Ich stieß ihn in den Fahrstuhl.
    »Los, welche Etage?«
    »Elf«, keuchte er, »elf.«
    Der Flur war so trostlos wie die Gehirngänge eines Toten. Das Wrack klapperte mit zittrigen Fingern den Schlüssel ins Schloss. Es sprach auf einmal völlig klar.
    »Warten Sie hier, ich bringe Ihnen das Geld.«
    Ich schob ihn beiseite und trat vor ihm ein. Das Zimmer sah aus wie ein Aschenbecher. Ein Aschenbecher mit einem Bett darin. Der Teppich war übersät mit Zigarettenkippen, Schnapsflaschen, Bierflaschen, Unterhosen, Hemden und kleinen Aschebergen.
    »Ich habe heute noch nicht aufgeräumt«, flüsterte das Wrack.
    »Nee, heute noch nicht.«
    Und dann sah ich das Regal. Es hing an der Wand hinter mir, deswegen hatte ich es nicht gleich gesehen. Auf dem Regal standen Porzellanfiguren und Wandteller. Aber es war nicht der übliche Kitsch. Es sah alt aus und teuer. Eine Schäferszene, ein musizierender Frosch in Livree, eine verschnörkelte Bonbonniere, ein Zwerg, der auf einem Eichhörnchen ritt. Es war völlig abwegig, dass diese Dinge in einer solchen Wohnung standen. Das Wrack beobachtete ängstlich, wie ich einen Wandteller in die Hand nahm.
    »Bitte nicht anfassen. Wie viel bekommen Sie denn? Ich will mal in der Küche schauen, ob ich was finde, aber ich glaube leider nicht.«
    Wie gewählt er sich ausdrückte. Es passte zum Porzellan.
    »Ja, schau mal gründlich nach! Zwanzig Mark! Und wenn das noch länger dauert, fünfundzwanzig.«
    Während er in die Küche schlurfte, raffte ich den Zwerg auf dem Eichhörnchen an mich. Dann lief ich hinaus, warf die Tür hinter mir zu und rannte zum Fahrstuhl. Während der Fahrstuhl abwärts sank, drehte ich die Porzellanfigur um. Zwei gekreuzte Schwerter. Das bedeutete ja wohl Meissen. Das war zu viel. Das war einfach zu teuer. Davon hätte der arme Kerl sich wochenlang volllaufen lassen können. Inklusive Taxi. Der Fahrstuhl hielt, ich stieß die Tür auf und begann zu laufen. Ich rannte zu meinem Wagen, schloss ihn keuchend auf und sprang hinein. Ich sah zum Hochhaus. Das Licht im Flur war wieder ausgegangen. Er kam mir nicht nach. Was hätte er auch schon tun können. Ich legte die Zwergenfigur auf den Rücksitz. An der ersten Ampel, an der ich bremsen musste, rutschte die Figur in den Fußraum und der Schwanz des Eichhörnchens brach ab.
58
    »Was soll’s«, sagte Udo-Dreidoppelsieben, »der wollte billig fahren, und jetzt ist es eben richtig teuer geworden. Muss er eben für all die anderen Säufer mitbezahlen, die mit der Masche durchgekommen sind. Sag mal, kannst du mir einen Fünfziger leihen?«
    Konnte ich nicht. Ich hatte Udo am Siemersplatz getroffen. Auch er fuhr jetzt für den Hansa-Funk. Seine neue Funknummer war
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