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Taxi

Titel: Taxi
Autoren: Karen Duve
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wir uns im Feierabendverkehr den Ring entlangschoben, »sie fliegen lange schon nicht mehr. Sie haben viel zu schwere Flügel, und ihre Schnäbel sind längst leer.« Das war sicher auch keine typische Zuhältermusik. Trotzdem zweifelte ich nicht daran, dass der Mann mit der mächtigen Mähne einer war. Was mich so sicher machte, war seine unentrinnbare Präsenz, seine herablassende Art und die lauernde Aggressivität. Als Schimpanse in einer Schimpansenhorde wäre er ein unbeliebtes, aber respektiertes Alphatier gewesen, das alle Weibchen für sich beansprucht und alle männlichen Schimpansen in Angst und Schrecken versetzt hätte. Natürlich konnte man diese Aura brutaler Dominanz auch bei vielen Managern, Politikern oder sogar Zeitungsredakteuren finden. Aber zu denen gehörte der löwenmähnige Mann ganz sicher nicht. Der Status, die Frauen und die Kontoauszüge, die ein dominantes und aggressives Exemplar wie er nun einmal beanspruchte, waren innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft für ihn unerreichbar. Also agierte er in einem Umfeld, in dem er bekam, was ihm zustand. Ich wollte ihn so schnell wie möglich wieder loswerden.
    »Nach Pinneberg«, sagte er. Fast eine Ferntour. Dann fiel ihm plötzlich ein, dass er vorher noch ins Pickenpack wollte.
    »Du wartest hier«, sagte er, als ich am Schulterblatt hielt, und drückte mir fünfzig Mark in die Hand. Er verschwand mit dem Mädchen in der Kneipe. Ich fluchte leise in mich hinein. Das war Mist. Scheiße war das. Wartezeit brachte auf dem Taxameter gerade mal zwanzig Mark Umsatz die Stunde. Und jetzt war es kurz nach sieben, der Abend hatte gerade erst angefangen, jetzt konnte man leicht das Doppelte verdienen. Nach einer halben Stunde stieg ich aus, nahm einen Zwanzig-Mark-Schein aus dem Portemonnaie und steckte ihn in die Hosentasche. Wie ich das hasste: den Fahrgästen hinterherzulaufen.
    Der Löwenmensch saß am Tresen mit einer Flasche Bier vor sich. Außer ihm war das Pickenpack völlig leer. Nicht einmal hinter dem Tresen stand jemand. Als er mich hereinkommen sah, winkte er mich heran, um aus meiner Beschwerde einen Gehorsam zu machen.
    »Komm her. Du trinkst jetzt erst mal einen mit mir«, sagte er.
    »Nee«, sagte ich, »geht nicht. Ich muss arbeiten. Ruf dir nachher einfach ein anderes Taxi. Das wird sowieso günstiger. Bei mir sind jetzt schon dreißig Mark auf der Uhr.
    »Nein«, sagte er, »du wartest.«
    Wie alle Zuhälter, die ich bisher gefahren hatte, war er ein unangenehmer, angsteinflößender Schweinehund. Die Romantisierung des Rotlichtmilieus hatte ich noch nie verstanden.
    Sein Mädchen kam von der Toilette zurück. Sie steuerte einen der hohen Tresenstühle an und setzte sich.
    »Nichts da«, sagte der Löwenmensch, »du stehst.«
    Beschämt rutschte das Mädchen wieder vom Hocker und blieb tatsächlich mit gesenktem Kopf stehen.
    »Weißt du was«, sagte ich, während mir das Herz bis zum Hals schlug, »mir ist das zu blöd. Darauf habe ich keine Lust. Hier hast du deine restlichen zwanzig Mark. Fahr mit wem du willst, aber nicht mit mir.«
    Ich klebte den Zwanziger in die Bierpfütze auf dem Tresen und ging hinaus.
    »He«, rief er, »he! Das kannst du mit mir nicht machen. Komm sofort zurück. Du kommst zurück!«
    Ich beschleunigte meinen Schritt, drückte mich durch die Schwingtür und stieg in mein Taxi. Auf der Uhr waren bereits mehr als fünfunddreissig Mark. Als ich sie ausschaltete, schoss plötzlich das Mädchen aus dem Pickenpack, riss die Beifahrertür auf und setzte sich neben mich.
    »Du musst zurückkommen. Bitte, komm zurück. Der gibt mir jetzt die Schuld, dass du weg bist. Wenn du nicht zurückkommst, schlägt der mich tot.«
    Ich drehte den Schlüssel halb um, wartete, bis das rote Licht auf dem Armaturenbrett erlosch, und startete den Motor. Das Taxi dieselte sich warm.
    »Nee«, sagte ich, »nee, geht echt nicht. Warum bist du auch bei so einem Arschloch? Mann, was war das denn für ’ne Nummer: Du s tehst. Das war ja wohl das Letzte.«
    » Er ist nicht immer so. Hast du mal ’ne Kippe?«
    Ich zog eine halbvolle Zigarettenschachtel neben dem Sitz hervor.
    »Hier, kannst du behalten. Hat jemand liegen lassen.«
    »Nein«, sagte das Mädchen. »Dann lieber nicht. Mit so was bin ich empfindlich. Ich steck mir doch nichts in den Mund, was jemand hier im Taxi vergessen hat.«
    Ich steckte die Zigarettenschachtel wieder neben den Fahrersitz.
    »Und jetzt?«, fragte das Mädchen und sah bittend zum
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