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Taxi

Titel: Taxi
Autoren: Karen Duve
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und etwas konturlos wirkenden jungen Mann im Rautenpullover vor. Taximörder hieß so, weil er einmal einen Selbstmörder zum Schauplatz seines Suizids gefahren hatte.
    »Dem war nichts anzumerken, dem war absolut nichts anzumerken«, sagte Taximörder und schwenkte schwermütig seine braune Poppertolle aus dem weichen Gesicht.
    »Das Geld hatte er mir vorher gegeben. Das muss der sich alles genau überlegt haben. Er hat zwar nicht weiter mit mir geredet, hat aber vollkommen normal gewirkt, nicht so, als wenn er unter Spannung wäre oder so.«
    Taximörder sah mich nicht richtig an, während er erzählte, sondern immer gerade so über meine Schulter hinweg, als würde ich eigentlich einen halben Meter weiter links sitzen.
    »Der wollte in den Hafen. Über die Köhlbrandbrücke. Und als wir genau auf dem höchsten Punkt der Köhlbrandbrücke sind, greift der mir plötzlich in die Automatikschaltung und knallt die hoch auf Parken . Ich wusste überhaupt nicht, was los ist: Plötzlich bricht der Wagen aus und macht ’ne Vollbremsung. Da reißt der Typ auch schon die Tür auf, springt raus und rennt geradewegs auf das Brückengeländer zu. Der flankt da rüber, ohne auch nur zu zögern. Und weißt du, was das Merkwürdigste war?«
    Hier machte er eine kurze Pause, um dann ruhiger fortzufahren: »Das Merkwürdigste war, dass ich zuerst gar nicht begriffen habe, was da gerade passiert ist. Es war wie in einem Traum oder so. Ich bin nicht einmal ausgestiegen, um nachzusehen, sondern ich bin ganz langsam wieder losgefahren. Irgendwie habe ich mir eingeredet, dass da wahrscheinlich eine Leiter war, auf der er zu seinem Schiff klettern konnte.«
    »Ja, klar«, sagte Udo-Zwonullfünf, legte seinen Suhrkamp-Band neben sich auf den Tisch und nahm der Bedienung den großen Rührei-Krabben-Teller ab, »und das Schiff hätte dann genau in der Mitte der Fahrrinne unter dem höchsten Punkt der Brücke geankert. Ganz bestimmt.«
    »Als ich die Köhlbrandbrücke runtergefahren bin«, nahm Taximörder den Faden wieder auf, »kamen mir auch schon die Typen vom Zoll oder was entgegen – die beobachten die Köhlbrandbrücke wahrscheinlich den ganzen Tag. Die haben mir das dann gesagt, dass der da runtergesprungen ist.«
    »Ist ja eigentlich auch ’n guter Selbstmord«, sagte Udo-Dreidoppelsieben und schaufelte Bratkartoffeln auf seine Gabel. »Ich meine, war sicher nicht schön für dich oder für die Leute, die ihn da rausfischen mussten. Ich meine, ist aber doch eigentlich ’ne saubere Sache. Also selbst, wenn der beim Aufprall aufplatzt, das wird doch alles sofort durchgespült. ’ne völlig saubere Sache.«
    »Du hast ja überhaupt keine Ahnung«, sagte Taximörder düster.
    »Ich weiß nicht, würdet ihr jemanden aufhalten, wenn der sich umbringen will?«, fragte Udo-Dreidoppelsieben in die Runde. »Ich meine, vielleicht hat der ja einen echten Grund, sich umzubringen, vielleicht hat er echt was Schlimmes angestellt, dass er sich nirgendwo mehr blicken lassen kann.«
    »Dann könnte er ja immer noch in die Fremdenlegion gehen«, sagte Dietrich mehr zu der Tischplatte als zu irgendjemandem sonst. Er hatte sehr leise gesprochen, aber sofort wurden alle still und wandten ihm ihre Gesichter zu.
    »Beim Erste-Hilfe-Kurs der Fahrschule hatten wir einen Rettungssanitäter als Lehrer«, sagte ich, »und der hat erzählt, dass von allen Selbstmördern, die sie gerettet haben, niemand dabei gewesen ist, der hinterher immer noch sterben wollte. Die waren alle froh, dass sie noch lebten, obwohl einige danach erst einen richtigen Grund hatten, sich umzubringen, weil nämlich die Niere hin war, von den ganzen Tabletten, und die jetzt an die Dialyse mussten.«
    Rüdiger verzog spöttisch das Gesicht.
    »Seit wann haben Rettungssanitäter hinterher noch Kontakt zu den Leuten, die sie gerettet haben? Der Typ hat Märchen erzählt. Außerdem lässt er dabei natürlich das Faktum des Bilanzselbstmords außer Acht. Selbstmord ist ja durchaus nicht immer eine Kurzschlusshandlung, sondern kann auch das Mittel der Wahl nach sorgfältiger Abwägung sämtlicher negativer Umstände sein, ergo also eine vernünftige Entscheidung.«
    »Hab ich eigentlich schon erzählt, dass ich heute ein Model gefahren habe?«, fragte Taximörder.
    »Nee, echt?«, sagte Udo-Dreidoppelsieben.
    Und Taximörder beschrieb ausführlich, wo er das Model hingefahren hatte und wie es ausgesehen hatte und was das Model zu ihm gesagt hatte. Leider nicht viel.
8
    In den nächsten
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