Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tausendschön

Tausendschön

Titel: Tausendschön
Autoren: K Ohlsson
Vom Netzwerk:
nichts sagte, seufzte sie und wandte sich wieder den Blumen zu.
    Glockenblume.
    Margerite.
    Er bewegte sich. Sie sah zu ihm zurück und entdeckte, dass er näher gekommen war.
    Sie und ihre Familie waren einmal im Ausland gewesen. Ein einziges Mal hatten sie eine normale Urlaubsreise unternommen und hatten auf den Kanaren in der Sonne gelegen und gebadet. Die Straßen dort waren voll herrenloser Hunde gewesen, die hinter den Touristen herliefen. Ihr Vater war sehr geschickt darin gewesen, sie zu verjagen.
    » Such!«, hatte er gerufen und einen Stein in die andere Richtung geworfen.
    Es hatte immer geklappt. Die Hunde hatten von ihnen abgelassen und waren hinter dem Stein hergesaust.
    Der Typ auf der Wiese erinnerte sie an die streunenden Hunde. In seinem Blick lag etwas Unberechenbares, das nicht zu deuten war. Vielleicht auch etwas Böses.
    Plötzlich war sie unsicher, was sie als Nächstes tun sollte. Einen Stein konnte sie schlecht werfen. Ein Blick zum Sommerhaus hinüber bestätigte nur, was sie ohnehin wusste: Ihre Eltern und die Schwester waren in die Stadt gefahren, um Fisch für das Mittsommeressen zu kaufen. Noch so eine dämliche alte Tradition, an der ihre Eltern festhielten, um das Bild von einer normalen Familie aufrechtzuerhalten. Wie immer hatte sie abgelehnt mitzufahren, sie wollte lieber in aller Ruhe – und schweigend – ihre Blumen pflücken.
    » Was willst du?«, fragte sie verärgert.
    Verärgert und mit wachsender Furcht. Sie wusste, wie Gefahr roch; ihr Instinkt hatte sie selten getrügt. Und gerade sagten ihr all ihre Sinne, dass sie die Kontrolle über die Situation behalten musste.
    Die Blumen pikten, als sie ihre Hand fester um die Stängel schloss. Nur eine Blume fehlte noch. Das Tausendschön. Kultiviertes Unkraut, wie ihr Vater es nannte.
    Der Mann kam schweigend auf sie zu. Dann blieb er stehen, nur noch einen knappen Meter entfernt. Langsam breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus, und im selben Moment wusste sie, wofür er gekommen war.
    Die Beine waren schneller als ihre Gedanken. Ihre Nerven funkten Gefahr, und im selben Augenblick fing sie an zu rennen. Die Grundstücksgrenze war weniger als hundert Meter entfernt. Mehrmals rief sie um Hilfe. Doch die Schreie versickerten in der Stille der Wiese. Die trockene Erde dämpfte die Laute ihrer Schritte ebenso wie den dumpfen Schlag, als er sie nach nur zwanzig Metern zu Boden warf, so als hätte er die ganze Zeit gewusst, dass sie ohnehin nicht entkommen würde, und sie nur hatte laufen lassen, weil es ihn erregte, sie zu jagen.
    Sie kämpfte wie ein Tier, als er sie auf den Rücken drehte und derart gezielt und behände an ihren Kleider riss und zerrte, dass ihr in diesem Moment klar war: Das hier musste etwas sein, das er schon einmal getan hatte.
    Und als dann alles vorüber war, als sie weinend in dem Krater lag, den ihre Körper in das Grün geschlagen hatten, wusste sie: Darüber würde sie niemals hinwegkommen. In ihrer geballten Faust, die Fingerknöchel von ihrem erfolglosen Kampf blutig gescheuert, hielt sie noch immer den Mittsommerstrauß. Sie ließ ihn fallen, als hätte sie sich daran verbrannt. Die Blumen waren nicht mehr wichtig. Sie wusste, wessen Gesicht sie in ihren Träumen sehen würde.
    Als das Auto der Eltern auf das Grundstück fuhr, lag sie immer noch auf der Wiese, unfähig, sich zu erheben. Die Wolken am Himmel sahen aus, als würden sie Fangen spielen. Um sie herum schien alles seinen unveränderten Weg zu gehen, während ihre eigene Welt soeben auf ewig in Scherben geschlagen worden war. Sie blieb auf der Wiese liegen, bis man sie vermisste und sie suchen ging. Und als man sie endlich fand, war sie bereits eine andere geworden.

Gegenwart
    » Jedes Tierlein hat sein Essen.
    Jedes Blümlein trinkt von Dir.
    Hast auch meiner nicht vergessen,
    lieber Gott, ich danke Dir.«

Freitag, 22. Februar 2008

Stockholm
    Nicht ahnend, dass er bald sterben würde, hielt er mit großem Engagement den Vortrag, der sein letzter werden sollte. Der Freitag war lang gewesen, und doch waren die Stunden schnell verflogen. Die Zuhörer waren aufmerksam, und es wurde Jakob Ahlbin warm ums Herz, wenn sich so viele andere für das Thema interessierten.
    Ein paar Tage später, als er sich eingestehen musste, dass alles vergebens war, dachte er noch darüber nach, ob ausgerechnet dieser letzte Vortrag vielleicht ein Fehler gewesen war. War er während der Fragestunde vielleicht zu offen gewesen, hatte er zu erkennen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher