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Der Gerechte

Der Gerechte

Titel: Der Gerechte
Autoren: Jason Dark
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Es war eine normale Nacht, doch der Mann in der kleinen Wohnung wußte, daß die nächsten Stunden über sein weiteres Schicksal entscheiden würden. Er hatte lange darauf gewartet, ein Leben lang – siebenunddreißig Jahre.
    Doch er wußte nicht, welche Karten das Schicksal sich ausgesucht hatte und wie sie gemischt worden waren. Er konnte so bleiben wie jetzt und seinen normalen Tätigkeiten nachgehen, es würde möglicherweise auch ein anderer Mensch aus ihm werden.
    Alles stand offen, alles stand in Frage.
    Er seufzte. Es war mehr ein klagender Laut, der über seine Lippen kam. Nicht schmerzerfüllt, eher eine gewisse Einsamkeit hinauslassend, die den Mann in der Dunkelheit überfallen hatte.
    Der Mann hieß Raniel!
    Er hatte oft genug über seinen Namen nachgedacht und sich gefragt, weshalb ihm seine Eltern den Namen gegeben hatten, der zumindest sehr ungewöhnlich war. Er konnte sich vorstellen, daß mehr dahintersteckte, nur kam er nicht auf den Grund. Raniel hörte sich geheimnisvoll an, vielleicht sogar unheimlich, doch wenn er es genauer betrachtete, konnte sein Name durchaus mit seinem Schicksal zusammenhängen.
    Raniel…
    Wie außergewöhnlich und einmalig. Da zog er Vergleiche zu Michael, zu Raphael und zu weiteren Namen, die allesamt für bestimmte Personen standen.
    Für Engel…
    Er schluckte, wenn er daran dachte. Jedenfalls sah er nicht aus, wie man sich landläufig einen Engel vorstellt. Sein Haar war nicht blond und wallend, seine Haut auch nicht ätherisch blaß, wie man es Himmelswesen nachsagte, er hatte auch keine Flügel und konnte nicht fliegen, weshalb also dann Raniel?
    Erst in den letzten Monaten war ihm sein Name so ungemein stark zu Bewußtsein gekommen. Er hätte gern seine Eltern danach gefragt, das war leider nicht möglich, denn sie lebten nicht mehr. Ein Unfall hatte sie dahingerafft. Sie waren in einem Wohnwagen gewesen und in die Hölle hineingetreten, als ein unter Drogen stehender Lastwagenfahrer in das Camp hineingefahren war.
    Fünf Tote, acht Schwerverletzte und einige Leichtverletzte hatten die Rettungsmannschaften nach diesem Schrecken gezählt. Der Fahrer hatte überlebt und saß jetzt hinter Gittern. Da es kein vorsätzlicher Mord war, würde er schon bald wieder freigelassen werden. Welch eine lächerliche Abnormität einer Gerechtigkeit. So dachte Raniel, so dachten viele Menschen, die betroffen waren und sich stets so hilflos fühlten.
    Raniel hatte den Tod seiner Eltern nur verdrängt, nicht vergessen. Er saß am Fenster und schaute wieder nach draußen. Es war ein großes Fenster, das von der Decke bis zum Boden reichte und einen wunderbaren Blick in die freie Landschaft hinein ermöglichte, die nun in der Dunkelheit geheimnisvoll wirkte.
    Ein weiter Himmel, wo der Wind die Wolken des Tages weggefegt hatte. Sterne waren zu sehen wie ferne Punkte. Dazwischen, wie ein großer Wachtposten, stand der Mond. Ein nicht ganz voller, gelber Kreis, ein Auge, das schaute und bewachte, das auch ein fahles Licht schickte. Raniel saß auf einem einfachen Schemel. Manches Mal, wenn er sich bewegte, gab die Scheibe sein schwaches Spiegelbild wider, und abermals dachte er daran, daß nichts Engelhaftes an ihm war, denn so ähnlich wie dieser Schatten sah er auch aus. Dunkles, sehr dichtes Haar umwallte seinen Kopf. Es war schwarz wie das Gefieder eines Raben. Raniel hatte es glatt zurückgekämmt.
    Sein Gesicht hatte einen normalen Teint. Der Mund war eher feminin, so weich und geschwungen waren die Lippen. Die Nase, die man als kräftig bezeichnen konnte, war nicht so außergewöhnlich, als daß sie bei einem flüchtigen Blick in Erinnerung geblieben wäre.
    Ebenso schwarz wie das Haar waren die balkenähnlichen Brauen. Einen ähnlich tiefen Farbton hatten die dunklen Augen. So wirkte Raniel schon außergewöhnlich, wenn auch nicht wie ein Engel aus den Höhen des Himmels. Ein Dichter hätte ihn vielleicht als einen dunklen und in sich gekehrten Träumer beschrieben, in dessen ausdrucksstarken Augen sich alles Leid der Welt, aber auch alle Freude des Erdballs sammeln konnte.
    Ein anderer hätte möglicherweise gesagt, daß er nicht in die heutige Zeit hineinpaßte und mehr an einen Menschen aus dem letzten Jahrhundert erinnerte, wo die Biedermeierzeit ihre bleibenden Akzente gesetzt hatte. Was hätte ein derartiger Mensch bei einem solchen Aussehen werden können?
    Pianist, Künstler, Bildhauer oder Maler. Er war jedenfalls ein Mensch, zu dem ein kreativer Beruf paßte. Ihn
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