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Tausendschön

Tausendschön

Titel: Tausendschön
Autoren: K Ohlsson
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Jakobs Vorträgen je zuvor gestellt worden. » Es gibt doch massenhaft Organisationen in Schweden und in ganz Europa, die sich mit Flüchtlingen beschäftigen? Ist denn darunter keine, die ihnen hilft, nach Schweden zu kommen?«, fuhr sie fort. » Und zwar auf eine humanere Art als über Menschenschmuggler?«
    Die Frage setzte sich fest. Schlug Wurzeln. Jakob zögerte lange, ehe er antwortete. Er wusste nicht recht, wie viel er sagen durfte.
    » Menschen dabei zu helfen, illegal nach Europa zu kommen, ist eine kriminelle Handlung. Ganz gleich was wir davon halten, so ist es nun einmal. Und das bedeutet auch, dass es strafbar wäre, sich einer solchen Unternehmung anzunehmen. Das schreckt selbst den nobelsten Wohltäter ab.« Er zögerte wieder. » Aber ich habe gehört, dass diese Haltung im Wandel begriffen ist und dass es inzwischen Menschen gibt, die ausreichend Mitgefühl haben, um Flüchtlingen die Möglichkeit geben zu wollen, für entschieden kleinere Summen nach Europa zu kommen. Doch das weiß ich, wie gesagt, nur vom Hörensagen, es ist nichts, was ich sicher sagen könnte.«
    Er machte eine Pause und spürte, wie sein Puls ein wenig schneller ging, während er gleichzeitig ein Stoßgebet aussandte, dass das auch stimmen möge.
    Dann schloss er den Vortrag so ab, wie er es immer tat.
    » Wie gesagt, ich glaube, dass wir uns davor hüten müssen zu glauben, dass es massenhaft Menschen auf der Welt gibt, die sich wünschen, ohne Arbeit und festen Wohnsitz in irgendeinem Vorort in Schweden zu leben. Hingegen sollten wir über Folgendes gründlich nachdenken: Was tut ein Vater nicht alles, um die Zukunft seiner Kinder zu sichern? Zu welchen Taten ist ein Mensch, der alles verloren hat, bereit, um eines besseren Lebens willen?«
    Während Jakob Ahlbin seinen letzten Vortrag beendete und den Applaus des Publikums entgegennahm, landete auf dem Stockholmer Flughafen Arlanda eine Boeing 737, die nur wenige Stunden zuvor Istanbul verlassen hatte. Der Kapitän, der das Flugzeug zur schwedischen Hauptstadt gelenkt hatte, verkündete, dass die Außentemperatur drei Grad minus betrage und man im Laufe des Abends mit Schnee zu rechnen habe. Er wünschte den Passagieren, die er bei nächster Gelegenheit gern wieder begrüßen wollte, einen guten Tag, und dann bat eine Stewardess die Reisenden, sitzen zu bleiben, bis die Anschnallzeichen erlöschen würden.
    Ali lauschte konzentriert, doch er verstand weder das Englische noch die andere Sprache, von der er annahm, dass es Schwedisch war. Der Schweiß lief ihm über den Rücken und ließ das Hemd, das er sich unmittelbar vor seiner Abreise gekauft hatte, auf der Haut kleben. Er versuchte, sich nicht zurückzulehnen, wollte aber auch nicht die Blicke auf sich ziehen, indem er verkrampft und vorgebeugt dasaß, so wie er es bereits auf der Reise von Bagdad nach Istanbul getan hatte. Ein paarmal hatten die Stewardessen ihn sogar gefragt, ob es ihm gut gehe, ob er etwas zu trinken oder zu essen benötige. Er hatte nur stumm den Kopf geschüttelt, sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Oberlippe gewischt und die Augen geschlossen. Und sich gewünscht, dass er bald da sei, dass alles vorüber sei und er sich sicher fühlen könne.
    Unruhe bemächtigte sich seines Körpers. Er umklammerte die Armlehnen mit beiden Händen und biss die Zähne aufeinander. Zum sicher hundertsten Mal sah er sich im Flugzeug um und versuchte herauszubekommen, wer wohl seine Begleitung war. Wer war die geheime Person, die angeblich zwischen den anderen Passagieren saß, nur um darauf zu achten, dass er sich richtig verhielt und die Anweisungen befolgte? Ein von seinem Befreier ausgesandter Schatten. Um seiner selbst willen. Wegen der anderen. Damit keine Probleme für die anderen entstanden, die ebenso wie er die großzügige Möglichkeit erhalten sollten, nach Schweden einzureisen.
    Der gefälschte Pass steckte in der Brusttasche seines Hemdes. Er hatte ihn erst in seinem Handgepäck gehabt, ihn dann aber herausnehmen müssen, als die Stewardess kam und ihn darauf hinwies, dass er an einem Notausgang saß. Dort durfte man kein Gepäck unter den Vordersitz legen, sondern musste es in den Fächern über dem Kopf verstauen. Ali war in Panik geraten und hatte sich geweigert, den Pass in der Gepäckablage zu verstauen. Mit zitternden Händen hatte er schließlich den Reißverschluss der Tasche geöffnet und versucht, den Pass zu finden, der ganz nach unten gerutscht war. Hatte den harten Umschlag
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