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Tanz mit dem Engel

Tanz mit dem Engel

Titel: Tanz mit dem Engel
Autoren: Ake Edwardson
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Stimme, die schwer zu erkennen war. Seine Schwester. Eine Beziehung, die inniger hätte sein können. Jetzt wurde er unruhig.
    »Ist irgendwas passiert?«
    »Nein.«
    »Worum geht es dann?«
    »Wo bist du, Erik?« fragte sie noch einmal.
    »Ich stehe draußen auf Amundön und schaue aufs Meer.«
    »Kannst du kom.«
    Die Stimme verschwand. Der Wind um ihn herum hatte zugenommen, er riß ihre Stimme vom Telefon und trug sie weg über die Eisflächen.
    »Ich höre nicht, was du sagst.« Er zog die Jacke über die Ohren und kuschelte sich hinein.
    »Kannst du hereinkommen?«
    »Hereinkommen? Wohin?«
    »Nach Hause«, sagte sie. »Hierher.«
    Wieder packte der Wind ihre Stimme.
    »Was?«
    ». will, daß du kommst«, hörte er.
    »Okay. Ich bin in einer halben Stunde da.«
    Er drückte auf den roten Knopf am Apparat, und es wurde still. Die Sonne hatte sich durch die hundert Schichten Himmel hindurchgewunden, und ein neues Licht spritzte herab, wo er stand und schaute, bis hinüber zum Horizont.
    Weit weg sah er ein Schiff über die letzte Linie biegen und dort im Unbekannten verschwinden.
    Im Schein des Himmels bekamen Land und Meer plötzlich die gleiche Farbe, und als er sich umwandte und am gefrorenen Ufersaum entlang zurückwanderte, spürte er einen Stich in den Augen und setzte die Sonnenbrille auf. Das Licht sank um eine halbe Oktave.
    Sie saßen in dem Zimmer, das auf den Garten ging. Die Balkontür stand drei Zentimeter auf, und Winter spürte einen schwachen Duft von der Kälte draußen.
    Hier drinnen ist nicht viel geschehen. Es ist beinahe so, als wäre ich nur über den Vormittag fortgewesen, dachte er. Es ist nichts geschehen, als daß einige Bücher ausgetauscht sind und daß eine Schleife weißer Kälte in der Luft hängt, die es nicht gab, als ich zum letztenmal hier war. Ich komme so selten zu Besuch.
    Lotta hatte das Haar zu einem Zopfkringel gelegt, und sie war schön, aber die Augen waren müde, und der Schock hatte ihr Gesicht hart gemacht. Es schimmerte im Weiß ihrer Augen. Sie trug schwarze Jeans und eine weiche Strickjacke über einem karierten Hemd, und sie würde bald vierzig sein. Es bereitete ihr keinen Kummer. Und das alles war nun bedeutungslos geworden, dachte er.
    »Was hat er dort gemacht?« sagte er, aber mehr zu sich selbst.
    »Er hatte es >eine kurze Bildungsreise< genannt, es war ein plötzlicher Einfall«, sagte sie und legte das eine Bein über das andere, und er sah, wie der Stoff um die Hüften spannte.
    Er sagte nichts. Er hatte es gewußt und war schon auf dem Weg gewesen.
    »Sie sind völlig verstört«, sagte sie.
    »Ja.«
    »Ich fühle mich genauso.« »Ja.«
    Sie schaute ihn an.
    »Dieser kleine Junge«, sagte er und bereute es zu spät.
    Lotta begann zu weinen, leise und weich wie der gestrige Schneefall. Die Balkontür glitt auf, und ein scharfer Wind fuhr ins Zimmer. Winter stand auf, ging durchs Zimmer und schloß die Tür.
    Sie hatte erzählt, und er hatte zugehört, wie es einer tut, der nichts hören will, aber keine andere Wahl hat. Der Junge im Nachbarhaus war 19 geworden, nach London gereist und ermordet worden. Er war ein Nachbar gewesen und etwas mehr.
    Als Winter die Straße und das Leben hier verließ, war Per Malmström ein paar Jahre alt gewesen. Jetzt hatte er gerade das Gymnasium abgeschlossen. Winter hatte ihn hin und wieder gesehen, und der Junge hatte den Babyspeck abgeschüttelt, und sein Gesicht hatte die richtigen Kanten bekommen.
    Das hier ist die Wirklichkeit, dachte Winter.
    »Du hast also mit Lasse und Karin gesprochen«, sagte er.
    »Ich bin sofort rübergegangen.« »Gut.«
    Er glaubte nicht, daß jemand anderes sich getraut hätte. Er wußte, daß sie sich traute.
    »Bist du dort gewesen?« fragte sie.
    »Ja.«
    Das war das einzige, was ihm zu sagen, zu antworten einfiel. Er war dort gewesen, und das änderte nichts, aber vielleicht hielt es für eine Weile die wahnsinnigen Gefühle auf, ließ sie nicht zur Tür herein.
    »Wir haben nicht über irgendwelche... Einzelheiten gesprochen«, sagte sie. »Also ich und Lasse und Karin.«
    Winter spürte einen Schmerz in der Handfläche, öffnete die Hand und blickte nach unten. Er sah, daß er seine stumpfen Nägel ins Fleisch gegraben hatte, und die Spur glühte, als er sie betrachtete.
    Er wußte nicht, was er sagen sollte.
    »Ich werde noch einmal mit ihnen sprechen«, sagte er nach einer Weile.
    »Karin sagt, sie wird es sich nie verzeihen.«
    »Daß er fahren durfte?«
    »Ja.«
    »Er war 19, er
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