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Tanz der Dämonen

Tanz der Dämonen

Titel: Tanz der Dämonen
Autoren: Uwe Westfehling
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ganz überflüssig. Manche Menschen, so scheint es mir, kommen durch ihr Vertrauen ans Ziel.
    An diesem Morgen jedoch sah es böse aus. Finstere Wolken zogen über uns hin, und im Schneematsch der Straße bedeutete jeder Schritt eine Anstrengung. Trotzdem wirkte die junge Mutter geradezu heiter, ja mehr noch: Während ich über sie nachdachte, trug sie bereits Sorge für mich!
    »Und du?«, fragte sie. »Wo gehst du hin? Du willst wohl auch nach Köln?«
    »So ist es.«
    »Was wirst du dort tun?«
    »Ich gehöre zu einer Truppe von Schaustellern. Allerdings habe ich sie verloren. Wir waren auf dem Weg nach Köln. Dort ist jetzt der Kaiser. Wisst Ihr nicht? Mit den großen Fürsten des Reiches, sagt man. Gott weiß, wer alles noch! Da gibt es gut zu verdienen für Leute wie uns, versteht Ihr?« Ich bemühte mich, weltläufig und unbekümmert zu wirken, aber ich spürte, dass ich ihr nichts vormachen konnte.
    »Ich habe mir so was schon gedacht«, sagte sie. »Aber eigentlich siehst du nicht aus wie ein Gauklerkind …«
    Ein Gauklerkind! Ich musste lachen. »Ich bin noch nicht lange mit ihnen unterwegs. Ein paar Monate erst. Seit dem Sommer …«
    »Und deine Eltern, wo sind die?«
    »Meine Mutter lebt nicht mehr.« Diese Worte umfassten so viele Erinnerungen: das bleiche, schöne Gesicht einer jungen Frau. Die sanfte Berührung ihrer Hand. Ihre Stimme. Die Melodie eines Liedes, das sie immer wieder sang. Ich musste schlucken, als das alles wieder in mir erwachte. Aber da war auch diese tiefe Traurigkeit, die Abwesenheit in ihrem Blick. Manchmal war meine Mutter sehr weit von mir weg gewesen. Zuzeiten lebte sie wie in einer anderen Welt, und erst im Nachhinein erkannte ich, wie ungewöhnlich das gewesen war. Sie hütete ein Geheimnis, in das sie sich einspann. Die wenigen Andeutungen, die sie mir gab, machten mich ratlos. Wenn ich größer sei, pflegte sie zu sagen, dann erst werde sie mir mehr erzählen. Manche Dinge seien für Kinder nicht zu verstehen. Ein schmerzliches Lächeln. Später …! Nur ist es dazu nicht mehr gekommen, denn da waren auch diese Anfälle von Schwäche … und dieser Husten.
    »Und dein Vater?« Die Stimme der jungen Frau riss mich aus meinen Gedanken. Offenbar fragte sie mich schon zum zweiten Mal.
    »Mein Vater …« Ich stockte. Das war die Frage, der ich immer auswich.
    »Ja. Dein Vater. Warum sagst du nichts über ihn?«
    Ich gab mir einen Ruck. »Ich kenne ihn nicht.«
    Sie nickte verstehend.
    »Nein«, beeilte ich mich hinzuzufügen, »es ist so: Ich bin auf der Suche nach ihm.«
    Sie blickte mir überrascht ins Gesicht. »Auf der Suche? Du glaubst also, er ist in Köln?«
    »Ja. Das nehme ich an.«
    »Du nimmst es an?«
    »Ich habe Hinweise. Einen Brief … Hinweise eben …«
    Es wurde mir klar, dass ich vielleicht schon wieder mehr redete, als gut war. Aber ich konnte nicht anders. Ich war froh, reden zu können, und bei wem sollte ich es tun, wenn nicht bei dieser Frau? Alles sagte mir: Ihr kannst du dich anvertrauen.
    »Dann bist du bei Fremden aufgewachsen?«
    »Bei einem Priester, die letzten Jahre. Seit meine Mutter tot ist. Er war der Pfarrer in unserem Dorf. Sie hat ihm den Haushalt geführt. Und ich …«
    Jetzt sei wachsam, dachte ich. Sonst hast du im Handumdrehen alles ausgeplaudert! Fast hätte ich nämlich gesagt, dass meine Mutter eigentlich immer gewünscht hatte, ich solle einmal ihre Arbeit weiterführen. Ein solcher Satz – aus dem Mund eines vermeintlichen Jungen! – hätte bestimmt Verwunderung ausgelöst. Zum Glück konnte ich die Klippe umgehen. Diese Frau zweifelte nicht daran, dass ich sei, als was ich ihr erscheinen wollte.
    »Er wurde alt«, sagte ich und gelangte damit auf vertraute Wege. »Vater Sebastian. Er wollte alleine sein, glaube ich. Er brauchte Ruhe. Und wollte nicht mehr für mich verantwortlich sein …«
    »Hat er dich weggeschickt?«
    »Nicht gerade so, aber er hat gesagt, es sei nun Zeit, dass ich zu meinen Vater komme.«
    Sie nickte und blieb kurze Zeit stehen, um auszuruhen.
    »Und dein Vater weiß, dass du kommst?« Die Frage war so gestellt, als wisse sie schon die Antwort.
    »Eigentlich nicht.«
    Ein prüfender Blick von ihr. »Das ist eine große Stadt.«
    »Aber ich hab einen Brief. Der gibt mir einen Namen. Ein Mann. Der weiß, wo mein Vater ist.«
    Sie nickte ohne rechte Überzeugung. »Da wirst du Glück brauchen«, sagte sie.
    Nicht mehr Glück, als Ihr braucht, dachte ich, sagte aber nichts und lächelte nur – so tapfer, wie
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