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Tanz der Dämonen

Tanz der Dämonen

Titel: Tanz der Dämonen
Autoren: Uwe Westfehling
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ER S KORPION
    Ein schneidender Wind fegte über die Hügel; er trieb düstere Wolken über uns hin und peitschte das schwarze Gestrüpp mit eisigem Regen. Die Wege waren nichts als Schlamm, und so mussten wir immer wieder vom Wagen hinunter, weil er bis an die Achse festsaß. Eigentlich war es eher ein Karren, von einem einzigen mageren Klepper mühsam vorwärts gezerrt. Deshalb gingen wir den größten Teil des Weges zu Fuß.
    Es wurde Abend, ohne dass es an diesem Tag je richtig hell gewesen wäre, und wir alle sehnten uns danach, für die Nacht rasten zu dürfen – alle außer Ahasver. Der wollte von Rast nichts wissen und trieb uns erbarmungslos an. Als Haupt unserer kleinen Gauklertruppe führte er ein strenges Regiment. Der Alte duldete keinen Widerspruch.
    Wir kamen an einem Dorf vorbei, das auf einer Anhöhe lag. Da erhob sich eine große steinerne Kirche.
    »Bestimmt gibt es dort eine Herberge für Pilger«, seufzte Pietro.
    »Heiße Suppe«, brummte Sambo.
    Aber Ahasver warf kaum einen Blick hinüber. »Der Flecken heißt Neunkirchen«, knurrte er. »Da sitzt ein Pfaffe aus Köln. Keine zehn Pferde bringen mich zu denen.«
    »Er wird seine Gründe haben«, flüsterte Pietro grinsend.
    Nun, das wussten wir alle, dass der Alte mit der Kölner Geistlichkeit nicht viel im Sinn hatte. Ahasver tat, als habe er nichts gehört.
    Krähen flogen aus den Baumkronen auf – ein finsterer Schwarm – und segelten über unseren Köpfen dahin; sie kämpften gegen den Wind, ihre rauen Schreie gellten mir in den Ohren. Aber Ahasver hatte keine Mühe, sie zu übertönen.
    »Legt euch ins Zeug!«, befahl er. »Oder wollt ihr an diesem schäbigen Hügel verrecken?«
    Pietro, Sambo und ich schwiegen, weil wir alle Kraft zum Schieben brauchten. Das Dorf lag jetzt hinter uns, und vor uns stieg der Weg erneut an. Der Schlamm spritzte mir bis unter die Hutkrempe, Jacke und Hose waren schon lange durchnässt und voll Dreck.
    »Gehorsam steht den Knechten an«, deklamierte der Alte. Er stieg nun ebenfalls vom Karren herunter und nahm den Gaul am Zügel. Als die Höhe fast erreicht war, schritt er voll Ungeduld voraus. Wir hörten ihn brüllen: »Und seht ihr es nicht? Gott gibt Kraft! Ihr seid bereits aus dem Dreck, ehe euer Kleinmut es wahrhaben will. Also denkt daran: Wem Gott einen großen Mann zum Herren gibt, dem schenkt er auch die Stärke, ihm zu folgen.«
    Pietro, ein schwarzhaariger, ziemlich gut aussehender Bursche, war Ahasvers gelehriger Schüler und sozusagen seine rechte Hand; dennoch ließ er keine Gelegenheit aus, gegen ihn zu maulen. Er stöhnte: »Wenn er nicht endlich mit anpackt, der alte Narr, werden wir nicht einmal dieses Stück mehr schaffen.« Und zu mir: »Geh nach vorne, Kat, er hat die Zügel losgelassen …«
    Der Alte deklamierte: »Pah, Dämonen der Stürme, Künder des Chaos, was vermögt ihr denn gegen Ahasverus, den Großen, den Wanderer unter den Sternen, der gefeit ist gegen den Gang der Zeit und dessen Augen die goldene Zukunft erschauen?«
    »Jetzt ist er wieder in seinem Text«, sagte Pietro und verdrehte die Augen.
    »Hat schon wieder zu viel getrunken«, vermutete Sambo. Ein Grinsen ging über sein schwarzes Gesicht. Der riesenhafte Kerl war der »starke Mann« in unserer Truppe. Er hatte auch eine kräftige Stimme.
    »Ich höre euch«, warnte der Alte. »Ich höre euch lachen, und ich höre euch meutern. Verräterisches Pack!«
    Ahasver hatte wirklich zu trinken begonnen, was sonst nicht seine Art gewesen war. Seit er nach monatelangem Zögernentschieden hatte, dass wir nun auf direktem Wege nach Köln gehen würden, war eine seltsame Unruhe über ihn gekommen. Er wirkte mürrisch und reizbar. Und er sprang heftig mit uns um.
    »Es tut nichts«, schrie er, »wenn ihr nicht begreift. Aber eure Bosheit, die wird euch nicht verziehen werden.« Er war stehen geblieben.
    »Seht nur, wenn ihr Augen habt. Die Sonne selbst gibt meinen Worten Recht!«
    Tatsächlich. Wir hatten endlich die Höhe erreicht, und vor uns war der Wolkenhimmel aufgerissen. Gleißendes Abendlicht flutete über die Ebene zu unseren Füßen, und im Westen, weit in der Ferne, erkannten wir die Umrisse einer Stadt.
    »Was ist das?«, fragte ich.
    »Schau hin, Junge«, knurrte der Alte. »Das ist es, das ist Köln! Scheint näher zu sein, als es ist, bei diesem Licht. Aber morgen sind wir da. Spätestens übermorgen.«
    Er winkte mich zu sich heran.
    »Siehst du das da?« Er hielt ein seltsames Gerät in der Hand. Woher hatte er
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