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Tanz der Dämonen

Tanz der Dämonen

Titel: Tanz der Dämonen
Autoren: Uwe Westfehling
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her! Es wird schon gehen. Wir rücken zusammen.«
    Der Mann brummte unwillig, beruhigte sich jedoch und reichte mir etwas später sogar ein Stück Brot. Die Frau war höchstens ein paar Jahre älter als ich. Drei Kinder hatte sie bei sich, das jüngste noch an der Brust. Das älteste wirkte schwächlich und teilnahmslos.
    »Sie lassen uns hier übernachten«, sagte sie. »Wenn wir nur nicht die Scheune anzünden, haben sie gesagt. Sie sind großzügig zu uns. Da wollen wir nicht engherzig sein.«
    Hinter den Fenstern schimmerte Licht. Später trat sogar eine Magd aus der Tür und brachte den Kindern Milch.
    »Mein Ältestes macht mir Sorgen«, sagte die junge Mutter. »Seine Beine sind voll Schwären, die nicht heilen wollen. Wir gehen nach Köln, um bei den Heiligen zu beten.«
    »Es geschehen manchmal Wunder«, sagte ich vage. Das Kind sah sehr krank aus.
    Gegenüber, am Stalleingang, hatte eine streitlustig wirkende Frau ihr Lager aufgeschlagen; auf der Landstraße unterwegs auch sie. Sie hatte einen starken Busen und ließ ziemlich viel davon sehen. Trotz der Kälte!, wunderte ich mich.
    »Gib dich bloß nicht mit der dran«, flüsterte die junge Mutter. »Das ist eine von der Landstraße … ein Hurenweib.«
    Ihr Mann schaute öfter hinüber, aber das bemerkte sie offenbar nicht.
    Etwas später schien die Frau an der Stalltür zu schlafen. Ihre Schulter war jetzt entblößt und zeigte ein Brandmal. Ich hatte so etwas noch nie gesehen, aber heute weiß ich natürlich, was es war: So zeichnet man in manchen Städten Diebe oder Dirnen.
     
    Wir schliefen bald alle. Einmal wurde ich wach; mir fiel auf, dass der Mann verschwunden war und die Frau mit dem Brandmal auch. Nach kurzer Zeit kamen sie beide zurück. Jeder von einer anderen Seite. Die junge Mutter schlief. Als der Mann bemerkte, dass ich die Augen offen hatte, grinste er und zwinkerte mir zu, verständnisinnig wie ein Verschwörer. Ich wandte mich ab. Männer tun manchmal seltsame Dinge, wenn sie glauben, dass keine Frau es erfährt. Das war mir schon lange klar geworden.
    Ich versuchte wieder zu schlafen. Eines der Kinder legte die Arme um meinen Hals und schnarchte, das Gesicht in meiner Achselhöhle. In dieser Nacht habe ich nichts geträumt.
     
     
     

IE S TRASSE NACH K ÖLN
    Als der Morgen dämmerte, waren wir alle schon auf den Beinen. Wir aßen ein paar Reste Brot, ehe wir aufbrachen. Ich wusch mir das Gesicht im Bach an der Straße, wo das Eis offen war. Da hörte ich plötzlich Pferde über den gefrorenen Schnee traben. Ein Trupp Reiter kam vorüber, an der Spitze ein Mann, der wachsam um sich spähte. Der Mond stand noch am Himmel, und sein Licht fiel kurz auf das Gesicht des Mannes. Ich erkannte den Anführer der Bande, die am Tag zuvor in die Herberge eingedrungen war. Er rief seinen Leuten etwas zu; sie ritten weiter, während er das Gehöft umkreiste und unter die Dachvorsprünge schaute, um die Gesichter der Menschen zu mustern, die hier genächtigt hatten und jetzt misstrauisch zu ihm aufblickten. Suchte er immer noch nach Ahasver? Oder suchte er etwa mich? Wenn es das war, dann war ich ihm jedenfalls glücklich entwischt, weil ich im Schatten kauerte, unten an der Böschung, nahe beim Wasser. Aber warum in aller Welt hätte er nach mir suchen sollen?
     
    Wir machten uns auf den Weg mit jämmerlich wenig im Magen. Das erste Stück ging ich gemeinsam mit der Familie. Die Frau und ich trugen abwechselnd das kranke Kind auf dem Rücken. Der Mann, der das wenige Gepäck geschultert hatte, blieb immer einige Schritte hinter uns. Später ließ er den Abstand noch größer werden. Es war, als wolle er den Eindruck erwecken, er gehöre nicht zu uns. Die Frau sprach von ihrer Hoffnung auf Hilfe durch diese Pilgerfahrt. Sie war so voller Zuversicht!
    Ohne recht zu überlegen, sagte ich: »Ich habe diese Nacht geträumt, Euer Kind sei wieder gesund.« Es war eine glatte Lüge, aber ich bereute es nicht.
    »Ich träume oft«, fügte ich hinzu.
    Sie lächelte unsicher. »Hast du manchmal Träume, die wahr werden?«
    »Es kommt vor«, sagte ich. Das war genau genommen nur halb gelogen.
    Sie sah mich nicht an, sondern blickte starr geradeaus.
    »Ich würde es wünschen«, fand ich richtig zu ergänzen. Das war ganz die Wahrheit.
    »Danke«, flüsterte sie.
    Selten in meinem Leben habe ich für einen fremden Menschen so brennend etwas gewünscht wie für diese junge Frau: Ihre Hoffnungen möchten nicht umsonst sein! Aber vielleicht war meine Besorgnis
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