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Tanz der Dämonen

Tanz der Dämonen

Titel: Tanz der Dämonen
Autoren: Uwe Westfehling
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schien mir unerreichbar fern. So blieb mir nur die Hoffnung auf jenen Unbekannten in der großen Stadt. Meinen Vater.
    Ein spitzer Schrei aus der Luft traf mein Ohr. Ein Schattenhuschte über mich hin. Ich blickte nach oben. Ein Bussard segelte im blauen Himmel. Ein scharf gezeichneter Umriss. Ich blieb stehen und folgte ihm mit den Augen. Im Nu war er jenseits des Baches und schon fast über dem Hügel, als er die Richtung änderte und jählings niederstieß. Ein kläglicher Schrei. Irgendein kleines Wesen büßte da seinen Leichtsinn. Wenig später vernahm ich wirren Lärm hinter mir. Ich fuhr herum. Kamen etwa doch die Verfolger?
    Es war jedoch wieder ein Bussard, vielleicht derselbe wie zuvor; er flog merkwürdig eilig über das Buschwerk davon, zwei, drei Krähen hinter ihm her – und kurz darauf eine ganze Schar. Ihre Stimmen waren es, die ich gehört hatte.
    So ist das, dachte ich. Das Glück wechselt.
    Gegen Mittag stieß ich auf einen Fahrweg, und etwas später holte ich den Wagenzug des Kaufmanns ein, der mit uns in der Herberge übernachtet hatte. Ich habe den Fuhrknechten wohl Leid getan. Jedenfalls ließen sie mich auf einem der riesigen Frachtwagen mitfahren und gaben mir sogar etwas von ihrem Brot. Es war die Straße nach Köln.
     
    Wie herzhaft unbedacht ich damals war! Ich hatte nichts Eiligeres zu tun, als von dem Überfall zu erzählen. Die Fuhrknechte glotzten mich misstrauisch an.
    »Das ist seltsam«, sagte der Kutscher. »Überfallen eine Herberge, nachdem die weg sind, bei denen es sich gelohnt hätte.«
    Ich zuckte die Schultern und schwieg. Ich ärgerte mich über mich selbst. Hatte ich mir genau das nicht selber schon gesagt?
    Was für eine Art Räuber war das?
    Ich hatte plötzlich wieder die beiden Kerle vor Augen, die über mich herfallen wollten, und wie sie gestorben waren. Gewalt hatte ich nicht zum ersten Mal erlebt … und Tod. Aber noch nie war mir dieser Schrecken so nahe gekommen. Es hätte nicht viel gefehlt, dann hätte ich mich noch einmal übergeben müssen.
    Der Wagenzug kam stetig voran. Gegen Mittag durchquerten wir die Furt eines kleinen Flusses, der voller Eisschollen war. Ichhörte, dass man ihn Agger nannte. Dort liefen mehrere Straßen zusammen, und die Strecke wurde immer belebter. Ob die Stadt schon nahe war? Dann marschierte ein Trupp Landsknechte vorüber. Zwei oder drei Mal wurden wir von Wachtposten kontrolliert.
    »Kaiser Karl ist in Köln«, erklärte der Kutscher. »Da ist viel Volk unterwegs. Du weißt schon: wegen der Wahl. Der Bruder vom Kaiser wird zum König gewählt. Große Herren. Mein Gott, was geht’s uns an!«
    Ich hörte davon zum ersten Mal, aber das band ich ihm nicht auf die Nase.
    »Viel Volk«, fuhr er fort. »Viel Volk, ja, ja. Manch schräger Vogel! Hält man besser im Auge!« Ich überlegte, ob das wohl auf mich gehe.
    »Seht mal da«, rief einer der Waffenknechte, die den Zug beschützen sollten. »Was für’n Gockelhahn!« Er regte sich über einen Hauptmann auf, der einen Trupp der Straßenwache herumkommandierte, eine auffällige Erscheinung mit einem geschlitzten Wams in Rot und Weiß. Das Erstaunlichste aber war das »Vorderstück« an seiner Hose. Es bauschte sich auf, als trüge er darunter ein Gemächte von wahrhaft aufsehenerregender Größe. Die Kontrolle, die seine Landsknechte vornahmen, war aber äußerst oberflächlich. Daher konnten wir bald weiterfahren. Ich dachte: Vielleicht sollte ich mir den Latz auch ein wenig ausstopfen. Mag sein, dass die Leute in der Stadt gewitzter sind als die auf dem Lande …
    Wir zogen an Gehöften vorbei und an kleinen Dörfern, über denen der Rauch von den Kaminen aufstieg; einmal sah ich eine Burg mit Wassergraben und Wehrmauer, die an jedem Ende ein Türmchen hatte, eines im Maurergerüst. Bauern trieben ihr Vieh zum Markt. Ein Prälat ritt auf einem weißen Maultier vorüber.
    Plötzlich hörte ich Rufe und Hufschlag hinter uns. Ein seltsames Gespann überholte uns – eine Art Sänfte, die zwischen vier Pferden aufgehängt war. Ein stattlicher Reiter galoppierte voraus, und ein ganzer Trupp in Helm und Harnisch sprengte hinterdrein. Als der Baldachin auf einer Höhe mit mir war, wehten die Vorhänge rechtsund links zur Seite, und ich erhaschte den Anblick einer strahlend schönen Frau. Sie lag auf glänzenden Kissen ausgestreckt, die Brüste fast völlig nackt und nur mit einer Art Schleier umhüllt, das goldene Haar mit Perlen durchflochten und die Augen ins Weite gerichtet. Sie
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