Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tanz der Dämonen

Tanz der Dämonen

Titel: Tanz der Dämonen
Autoren: Uwe Westfehling
Vom Netzwerk:
es so plötzlich genommen? Ich konnte mir nur vorstellen, dass er es unter seinem weiten Mantel versteckt gehalten hatte. Eine Waffe? Es war eine Art länglicher Kasten mit zwei Löchern, eines an jedem Ende, in die waren offenbar Stücke Kristall eingesetzt. Er richtete das Instrument auf die ferne Stadt und schaute hindurch.
    »Der Tempel des Herrn in der Stadt Gottes«, hörte ich ihn sagen, und dann, mit einem spöttischen Lachen: »Oder die Burg des Gral. Oder der Turm zu Babel. Ha! Oder der Stall des Augias!«
    Er wandte sich um und hielt mir das Ding entgegen. Erschrocken wich ich zurück, was er grinsend beobachtete.
    »Keine Angst, Junge, es beißt nicht.«
    Ich ärgerte mich über seinen Spott, und damit bezwang ich auch meine Scheu und trat näher heran.
    »Du musst hier hineinschauen«, sagte er, ruhiger jetzt und fast begütigend.
    Ich tat, was er sagte. Plötzlich stand alles unbegreiflich nahe vor meinen Augen.
    Eine Stadt, so groß, wie ich noch keine gesehen hatte und wie ich mir auch niemals eine hätte vorstellen können!
    »Zauberei«, flüsterte ich.
    »Unsinn«, sagte er. »Es gibt für alles eine bessere Erklärung als Zauberei. Das hier habe ich aus Krakau mitgebracht. Hinterlassenschaft von einem begnadeten Spinner, den keiner ernst genommen hat. Es ist … Ach was, zerbrich dir nicht den Kopf. Schau einfach. Da! Hinter dem Baumstumpf! Siehst du es?«
    Ich erkannte, was er meinte, etwas unglaublich Großes, Glänzendes, das sich fern über den winzigen Dächern der Stadt erhob wie eine unregelmäßige Gruppe merkwürdiger Türme.
    »Sie bauen die Kathedrale«, erklärte er. »Du wirst staunen!«
    Dann wandte er sich zu den anderen um.
    »He! Worauf wartet ihr!«, brüllte er. »Haltet nicht Maulaffen feil! Da liegt das Wirtshaus, das ich uns zur Nacht bestimmt habe. Nehmt den Gaul und den Karren und geht schon voraus!«
    Mich hielt er zurück. Was mochte er jetzt wieder wollen? Er hatte das unheimliche Ding weggesteckt, nestelte nun etwas anderes aus seinem Gewand und gab es mir in die Hand.
    »Nimm das«, sagte er. »Nimm es und frag nicht.« Dabei hielt er den Kopf gesenkt und blickte verstohlen nach rechts und nach links.
    Es war ebenfalls ein erstaunliches Ding, ein kleiner Anhänger an einer Kette. Sieht aus wie Gold, dachte ich. Und was soll das darstellen? Ich betrachtete es genau. Zweifellos ein Tier. Eine Art Wurm mit vielen Beinen.
    »Ein Skorpion«, sagte er. »Ich vertraue ihn dir an. Verbirg ihn gut. Am besten unterm Wams. Es wird der Tag kommen, da ich ihn von dir zurückfordere. Aber frag nicht, verstanden?«
    Ich nahm den Hut ab und streifte die Kette über den Kopf.
    Er zog mich zu sich heran. Ich hätte schwören können, dass er im Begriff stand, mir übers Haar zu streichen, aber dann klopfte er mir doch nur auf die Schulter.
    »Und jetzt komm.« Wir folgten den anderen. »Ich will mich auf dich stützen«, sagte er. »Ich bin ein alter Mann.«
    Dabei wanderte sein Blick unter den schweren Lidern hervor misstrauisch zum Waldrand, in die Richtung, aus der wir gekommen waren, nach Osten, wo sich schon abendliches Dunkel ausbreitete, und er schob sein wuchtiges Kinn nach vorn.
     
    Die niedrige Gaststube in der Herberge dröhnte vom Lärm der dort versammelten Menschen. Woher mochten die nur alle gekommen sein? Auf den Straßen, die hinter uns lagen, hatten wir kaum Reisende getroffen, hier aber drängten sie sich auf engstem Raum in Hitze, Qualm und Gestank. Meine Augen und meine Nase gewöhnten sich nur widerstrebend an diese Atmosphäre. Dann aber erkannte ich Einzelheiten: An den Tischen wurde gegessen, und im Hintergrund waren Spiele mit Karten und Würfeln im Gange. Ein Handelsherr, vielleicht aus Nürnberg oder Augsburg, wo die reichsten Pfeffersäcke sitzen, machte mit seinen Frachtwagen und Fuhrknechten hier Station. Für ihn war mit Hilfe von gespannten Tüchern ein gesonderter Bereich abgetrennt, damit er sich nicht vom niedrigen Pöbel belästigt fühlen musste. Dieser Kaufmann war eine stattliche Erscheinung, er trug ein pelzbesetztes Wams und hatte einen Ring am Finger, der gewiss mehr wert war als alles zusammen, was wir anderen in diesem Raum am Leibe hatten.
    Er muss sich ziemlich sicher fühlen, dachte ich. Sonst würde er seinen Reichtum nicht so zur Schau stellen. Zwei Damen und ein Priester saßen mit an seinem Tisch. Die übrigen Gäste mussten mit weniger Platz vorlieb nehmen. Manche waren wohl Pilger, man erkannte sie an ihren Stäben und dicken
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher