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Tanz der Dämonen

Tanz der Dämonen

Titel: Tanz der Dämonen
Autoren: Uwe Westfehling
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ich konnte.
    »Er wird staunen, dich zu sehen«, fuhr sie fort. Es sollte wohl aufmunternd klingen.
    »Weil ich schon so groß bin, meint Ihr? Er hat mich wirklich sehr lange nicht gesehen. Und ich weiß gar nicht, wie er aussieht …«
    Sie lachte. »Väter wundern sich oft über ihre Kinder.«
    »Wenn es ihm nicht passt, kann er mir gestohlen bleiben.«
    »So ist es recht. Aber ehe du ihm das sagen kannst, musst du ihn erst finden.«
    »Ich habe keine Angst.«
    »Gut so.«
    »Ich werde ihn finden, und dann sage ich ihm, was ich von ihm denke – dass er mich so lange allein gelassen hat.«
    »Weißt du … Vielleicht hat er Gründe dafür gehabt.«
    Ich wollte nicht darauf eingehen. Deshalb sagte ich in einem Ton, der das Thema beenden sollte: »Jedenfalls komme ich auch alleine zurecht!«
    Sie blickte mich wieder von der Seite an und sagte: »Du kannst beruhigt sein. Du wirst immer Leute finden, die dir helfen.«
    »Daran ist was Wahres. Mir hat schon oft jemand weitergeholfen.«
    »Die Menschen mögen dich, nicht wahr?«
    »Ich weiß nicht, warum«, sagte ich.
    »Vielleicht, weil du auch bereit bist, anderen zu helfen.«
    Ich zuckte die Schultern.
    Wie stark sie ist, dachte ich. Und wie viele drückende Pflichten sie hat! In ihrer Lage könnte auch ich sehr bald sein. In wenigen Jahren schon, mehr Zeit trennt uns nicht. Könnte ich das? Will ich das? Ein Satz aus dem Mund meiner Mutter kam mir in den Sinn: »Ich wollte, du wärst ein Junge, denn es ist kein Glück, eine Frau zu sein.« War es mir vielleicht darum so leicht gefallen, die Verkleidung anzulegen, die ich trug?
    Wenig später mussten wir Halt machen. Jetzt nahm wieder ich das kranke Kind auf meine Schultern. Es war schwer.
     
    Gegen Mittag, als die Sonne den Nebeldunst auflöste, begann das Kind zu jammern, weil es seinen Schmerz nicht länger ertragen konnte. Die Mutter bettete es auf eine Decke am Wegesrand und gab ihm zu trinken. Auch die anderen Kinder klagten jetzt über Durst.
    Der Vater trat zu uns und starrte mich argwöhnisch an.
    »Was ist nun?«, fragte er. »Wird es jetzt weitergehen?«
    »Es geht nicht«, sagte die Mutter.
    »Und der da? Hat er dir genug schöne Augen gemacht?«
    »Red keinen Unsinn, Mann.«
    Ich hatte den Eindruck, dass er überlegte, ob er sie für diese Worte schlagen solle. Dann aber fand er wohl, es sei nicht der Mühe wert. Aber seine Augen funkelten mich an, als wünsche er sich einen Streit.
    »Möcht wissen, was ihr dauernd zu quatschen habt.«
    Die Frau fasste mich am Arm, damit ich schweigen sollte.
    »Wir werden im Dorf drüben rasten«, sagte sie. »Es muss so sein. Geh du aber deinen Weg. Du sollst dich nicht aufhalten lassen. Und wir danken dir.«
    »Ich bin es, der Euch zu danken hat.«
    »Wofür denn?«
    Ich zuckte die Schultern. »Dass wir zusammen gegangen sind.«
    Sie lächelte tapfer. »Du bist ein Tor«, sagte sie leise, »aber ich mag dich. Und ich wünsche dir alles Glück, das du brauchen wirst …«
     
    Ich war aufs Neue allein und war es doch nicht. Die Straße war voller Menschen: Bauern in schäbigem Kittel und Händler mit allem möglichen Trödel auf den Schultern, Landsknechte unter Waffen, eine Gruppe Gaukler mit einem struppigen Tanzbären, eine Frau mit Hühnern im Korb. Alle zogen in Richtung Köln. Kaum jemand kam uns entgegen. Die Vielzahl der Menschen machte mir Mut. Dennoch schaute ich wachsam umher, ob die Banditen, die womöglich nach mir suchten, irgendwo auftauchten oder der Mann mit der Armbrust – oder auch Ahasver mit Pietro und Sambo. Wie ich sie vermisste!
    Manchmal tastete ich nach dem Brief. Das gefaltete Papier knisterte unter dem Wams. Dabei fühlte ich auch den goldenen Skorpion.
    Eine Zeit lang folgte ich zwei Bettelmönchen, die mit gleichmütig heiterer Miene dahinschritten, dann ein paar Frauen, die wohl Dirnen waren; sie hatten ihre Röcke geschürzt, um sie vor demStraßenkot zu bewahren. Nach dem, was sie redeten, war ihr Wagen an diesem Morgen, so kurz vor dem Ziel, zu Bruch gegangen. Immer wieder andere Weggenossen. Zwei Männer in Reisemänteln führten ihre Pferde am Zaum, wohl um sie zu schonen. Sie redeten über Politik so wie Leute, die etwas davon verstehen.
    »Die Fürsten!«, knurrte der eine. »Die lauern doch nur auf eine Schwäche des Kaisers! Sie hocken zusammen und schmieden Pläne gegen ihn. Verräter!«
    Der andere stimmte ihm zu. »Auf dem Reichstag in Augsburg hat er die Protestanten in ihre Schranken gewiesen. Er hätte sie gleich mit
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