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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber
Autoren: Mario Vargas Llosa
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so flachen Bauch, so wache Muskeln aufweisen? Ohne zu übertreiben, sein Bruder Roberto sah mit seiner rundlichen und aufgeschwemmten Figur und der frühzeitigen Krümmung des Rückens zehn Jahre älter aus, obwohl er drei Jahre jünger war als er. Armer Roberto, er mußte sehr traurig sein über die Hochzeit von Elianita, seinem Augapfel. Denn irgendwie verlor er sie ja. Auch seine eigene Tochter Charo würde irgendwann einmal heiraten – ihr Liebster, Tato Soldevilla, machte demnächst seine Examina als Ingenieur –, und auch ihm würde es dann leid tun, und er würde sich älter fühlen. Dr. Quinteros sprang mit dem Seil, ohne sich zu verheddern oder aus dem Rhythmus zu kommen, mit der Leichtigkeit, die das regelmäßige Training bringt, wiederholt den Fuß wechselnd und die Arme kreuzend wie ein vollendeter Turner. Im Spiegel sah er, daß sein Neffe zu schnell sprang, sich versprang, stolperte. Er hatte die Zähne fest zusammengebissen, Schweiß glänzte auf seiner Stirn, und er hielt die Augen geschlossen, um sich besser konzen trieren zu können. Irgendeine Frauengeschichte vielleicht?
    »Genug mit dem Seilchen, ihr Schlappschwänze!« Obwohl er mit Perico und dem Schwarzen Humilia Gewichte hob, verlor Coco sie nicht aus den Augen und nahm ihre Zeit. »Drei Serien sit up. Tempo, Tempo, ihr Fossilien.«
    Die Bauchmuskelübungen waren die Kraftprobe für Dr. Quinteros. Er absolvierte sie mit großer Geschwindigkeit, die Hände im Nacken verschränkt, das Brett in der zweiten Position, den Rücken unmittelbar über dem Boden haltend und die Knie beinahe mit der Stirn berührend. Zwischen jeder Serie von dreißig Beugen machte er eine Minute Pause und blieb tiefatmend auf dem Boden liegen. Nach der neunzigsten Beuge setzte er sich und stellte zufrieden fest, daß er Richard überholt hatte. Jetzt schwitzte auch er von Kopf bis Fuß und fühlte den beschleunigten Pulsschlag.
    »Ich verstehe nicht, warum Elianita den Rothaarigen Antûnez heiratet«, hörte er sich plötzlich sagen. »Was findet sie an dem?«
    Das war ein Patzer, und er bereute ihn sofort, aber Richard schien sich nicht zu wundern. Keuchend – er hatte seine Bauchmuskelübungen gerade beendet – antwortete er mit einem Scherz: »Man sagt doch, Liebe macht blind, Onkel.« »Ein feiner Kerl, und sicher wird sie sehr glücklich mit ihm«, brachte Dr. Quinteros die Sache etwas abrupt wieder in Ordnung. »Ich wollte sagen, daß unter den Verehrern deiner Schwester die besten Partien von Lima waren. Sieh mal, die wirft sie alle weg, um den Rothaarigen Antûnez zu nehmen, der sicher ein guter Junge ist, aber so, nun ja …« »So beschränkt, willst du sagen?« half ihm Richard. »Nun ja, ich hätte es nicht so grob ausgedrückt.« Dr. Quinteros sog die Luft ein und stieß sie wieder aus, streckte die Arme und verschränkte sie. »Aber er sieht wirklich aus, als wäre er aus dem Nest gefallen. Neben jeder anderen könnte er sich sehen lassen, aber neben Elianita, die so hübsch, so lebendig ist, sieht er recht traurig aus.« Er fühlte sich unbehaglich über seine eigene Offenheit. »Du nimmst mir das nicht übel, Junge.« »Keine Sorge, Onkel.« Richard lächelte ihm zu. »Der Rothaarige Antûnez ist ein netter Kerl, und wenn die Kleine ihn nimmt, wird sie wissen, warum.«
    »Dreimal dreißig side bends, ihr Invaliden!« grunzte Coco mit achtzig Kilo über dem Kopf, aufgebläht wie ein Frosch. »Bauch eingezogen, nicht rausgestreckt!«
    Dr. Quinteros dachte, Richard würde sein Problem beim Turnen vergessen, sah aber, daß er die Seitenbeugen mit neu aufwallender Wut ausführte. Sein Gesicht verzerrte sich wieder zu einem Ausdruck von Bitterkeit und schlechter Laune. Es fiel dem Arzt ein, daß es in der Familie Quinteros viele Neurotiker gegeben hatte, vielleicht hatte Robertos ältester Sohn das Los gezogen, diese Tradition in der neuen Generation aufrechtzuerhalten. Dann wurde er von dem Gedanken abgelenkt, nach dem Sport doch noch kurz in der Klinik vorbeizugehen. Es war bestimmt klüger, noch einmal nach der Frau mit den Drillingen zu sehen und nach der mit der Fasergeschwulst. Dann dachte er gar nichts mehr, die physische Anstrengung nahm ihn ganz in Anspruch, und während er die Beine hob und senkte (leg rises, fünfzigmal!), den Rumpf beugte (trunk twist mit Stange, drei Serien, bis ihr die Lungen auskotzt!), den Rücken, den Rumpf, die Oberarme, den Hals arbeiten ließ, immer den Befehlen von Coco folgend (Kraft, ihr Urgroßväter! Schneller,
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