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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber
Autoren: Mario Vargas Llosa
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ihr Kadaver!), war er nur noch eine Lunge, die Luft aufnahm und ausstieß, eine Haut, die Schweiß ausspuckte, und Muskeln, die sich anstrengten, ermüdeten und litten. Als Coco schrie: »Dreimal fünfzehn pull overs mit Manschette!«, hatte er seine Grenzen erreicht. Er versuchte zwar aus Eigenliebe, wenigstens eine Serie mit zwölf Kilo zu machen, konnte es aber nicht. Er war zu erschöpft. Das Gewicht rutschte ihm beim dritten Versuch aus der Hand, er mußte den Spott der Gewichtheber über sich ergehen lassen (Mumien gehören ins Grab und Klapperstörche in den Zoologischen Garten! Ruft den Bestattungsunternehmer! Requiescat in pace, Amen!). Und mit stummem Neid mußte er zusehen, wie Richard – immer eilig, immer zornig – seine Übung ohne Schwierigkeiten zu Ende brachte. Disziplin, Ausdauer, ausgewogene Diät und geregelte Lebensweise genügten eben doch nicht, dachte Dr. Quinteros. Das kompensiert die Unterschiede nur bis zu einem gewissen Grad. Wenn der überschritten war, setzte das Alter unüberbrückbare Entfernungen, unüberwindliche Schranken. Später, nackt in der Sauna, blind vom Schweiß, der ihm aus den Augenbrauen rann, wiederholte er voller Melancholie einen Satz, den er in einem Buch gelesen hatte: Jugend – die Erinnerung an sie bringt uns Verzweiflung! Als er aus der Sauna kam, sah er, daß Richard sich zu den Gewichthebern gesellt hatte und mit ihnen abwechselte. Coco deutete mit einer amüsierten Geste auf ihn:
    »Der gute Junge hat beschlossen, sich umzubringen, Doktor.“
    Richard lächelte nicht einmal. Er hatte die Gewichte gehoben, und sein Gesicht, feucht, rot, die Venen hervortretend, zeigte eine Erbitterung, die sich jeden Augenblick gegen sie entladen konnte. Dem Arzt fuhr der Gedanke durch den Kopf, daß sein Neffe ihnen allen mit den Gewichten, die er in den Händen hielt, plötzlich die Köpfe zerschmettern könnte. Er winkte »auf Wiedersehen« und murmelte: »Wir sehen uns in der Kirche, Richard.«
    Als er zu Hause war, beruhigte ihn die Nachricht, daß die Frau mit den Drillingen mit ihren Freundinnen im Krankenzimmer Bridge spielen wollte und die an der Fasergeschwulst Operierte gefragt habe, ob sie heute Wantanes in Tamarindensauce essen dürfe. Er erlaubte Bridge und Wantanes und zog sich in aller Ruhe das weißseidene Hemd, den dunkelblauen Anzug und eine silbergraue Krawatte an, die er mit einer Perle befestigte. Er parfümierte sich das Taschentuch, als ein Brief von seiner Frau ankam, auf den Charito noch ein P. S. geschrieben hatte. Er war in Venedig abgeschickt worden, der vierten Stadt ihrer Tour, und sie schrieben ihm: »Wenn Du diesen Brief erhältst, haben wir mindestens noch sieben weitere wunderschöne Städte gesehen.« Sie waren glücklich und Charito begeistert von den Italienern, »alles Filmstars, Papi, Du kannst Dir nicht vorstellen, wie galant sie sind. Aber erzähl es Tato nicht. Tausend Küsse, Ciao.«
    Er ging zu Fuß zur Kirche Santa Maria im Övalo Gutiérrez. Es war noch früh, und die Gäste kamen nach und nach. Er setzte sich in eine der vorderen Reihen und betrachtete den mit Lilien und weißen Rosen geschmückten Altar und die Glasfenster, die aussahen wie Bischofsmitren. Und wieder einmal stellte er fest, daß ihm diese Kirche mit ihrer Mischung aus Stuck und Mauerwerk und ihren prätentiösen länglichen Bögen überhaupt nicht gefiel. Hin und wieder grüßte er mit einem Lächeln einen Bekannten. Natürlich, wie sollte es anders sein, erschien alle Welt in der Kirche: entfernte Verwandte, Freunde, die nach Jahrhunderten wieder auftauchten, und selbstver ständ lich das Allerfeinste dieser Stadt, Bankiers, Bot schafter, Industrielle, Politiker. Dieser Roberto und diese Margarita, immer so leichtfertig, dachte Dr. Quinteros ohne Bitterkeit, eher mit Wohlwollen angesichts der Schwächen seines Bruders und seiner Schwagerin. Bestimmt würden sie beim Mittagessen mit vollen Händen das Geld aus dem Fenster werfen. Als der Hochzeitsmarsch begann und er die Braut kommen sah, war er gerührt. Sie war wirklich wunderschön in ihrem duftigen weißen Kleid und mit ihrem Gesichtchen hinter dem Schleier. Sie hatte etwas außerordentlich Graziles, Leichtes, Vergeistigtes, als sie an Robertos Arm mit gesenkten Augen auf den Altar zuschritt, während Roberto, korpulent und würdig, seine Rührung hinter der Pose des Weltmannes verbarg. Der Rothaarige Antûnez sah in seinem Frack und mit dem vor Glückseligkeit strahlenden Gesicht weniger häßlich aus.
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