Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sumpf: Psychothriller (German Edition)

Der Sumpf: Psychothriller (German Edition)

Titel: Der Sumpf: Psychothriller (German Edition)
Autoren: John Katzenbach
Vom Netzwerk:
1
    Ein Meinungsmacher
    A n dem Tag, an dem er den Brief bekam, erwachte Matthew Cowart allein in seiner Wohnung. Es war ein trügerisch winterlicher Morgen.
    Seit Mitternacht hatte ein starker Nordwind die schwarze Nacht vor sich hergetrieben, bis die Stadt in den frühen Morgenstunden unter einem schmutzig grauen Himmel lag, der ihren Ruf Lügen strafte. Kaum trat Cowart auf die Straße, hörte er das Säbelrasseln der Palmwedel in der scharfen Brise.
    Er zog die Schultern hoch und bereute, dass er unter der Anzugjacke keinen Pullover trug. Jedes Jahr gab es den einen oder anderen Morgen, der wie der heutige von einem stürmischen Tag unter einem düsteren Himmel kündete – nichts weiter als ein kleiner Streich der Natur, der maulende Touristen zwang, sich warm anzuziehen, bevor sie den Strand von Miami entlangflanierten. In Little Havana hüllten sich die älteren kubanischen Frauen in dicke Wollmäntel und verfluchten den Wind, dabei schimpften sie im Sommer genauso über die Hitze, gegen die sie sich mit Sonnenschirmen wehrten. In Liberty City pfiff es durch die Rattenlöcher der Crack-Schuppen, in denen die Junkies sich zitternd ihre Pfeifen stopften. Doch nicht lange, und die Stadt würde wieder unter der gewohnten stickigen Schwüle stöhnen.
    Ein Tag, allenfalls zwei, dachte er, während er zügig ausschritt, dann bringt der Wind wieder Wärme aus dem Süden, und wir alle vergessen das kalte Intermezzo.
    Matthew Cowart war ein Mann, der mit leichtem Gepäck durchs Leben ging. Missliche Umstände oder einfach nur Pech hatten ihm die üblichen Pflichten der mittleren Lebensjahre abgenommen: Durch Scheidung hatte er Frau und Kind verloren, durch einen unschönen Tod seine Eltern; Freunde waren ihre eigenen Wege gegangen und mit einer steilen Karriere, einer Schar kleiner Kinder, den Ratenzahlungen fürs Auto oder der Hypothek fürs Eigenheim mehr als beschäftigt. Eine Zeitlang hatten ein paar von ihnen noch versucht, ihn bei Ausflügen und Partys mit einzubeziehen, doch je länger sein zurückgezogenes Leben währte und je wohler er sich dabei zu fühlen schien, desto seltener wurden die Einladungen, bis sie irgendwann ganz ausblieben. Seine sozialen Kontakte beschränkten sich im Wesentlichen auf eine gelegentliche Feier im Büro und die Fachsimpeleien unter Kollegen. Er hatte keine feste Freundin und war ein wenig ratlos, wieso. Abgesehen vom Blick über die Bucht war seine Wohnung in einem soliden Hochhaus aus den fünfziger Jahren eher bescheiden und noch dazu mit alten Möbeln bestückt. Die Bücherregale quollen über von Kriminalromanen, Thrillern und Sachliteratur zu wahren Fällen, an den Wänden hingen austauschbare, gerahmte Drucke; sein Geschirr war abgenutzt, erfüllte aber seinen Zweck.
    Zuweilen beschlich ihn der Gedanke, dass alle Farbe aus seinem Leben gewichen war, seit ihm seine Frau die gemeinsame Tochter entzogen hatte. Seine eigenen Bedürfnisse beschränkten sich im Wesentlichen auf das Joggen in einem städtischen Park – ein tägliches Pflichtpensum von zehn Kilometern –, die eine oder andere Verabredung zu einem Basketballspiel im YMCA und seine Arbeit bei der Zeitung. Ihm war bewusst, dass er über ein außergewöhnliches Maß an Unabhängigkeit verfügte, auch wenn ihm der Gedanke, seinen Mitmenschen so wenig schuldig zu sein, ein gewisses Unbehagen bereitete.
    Immer noch blies ein kräftiger Wind und zerrte an den drei Flaggen vor dem Haupteingang des Miami Journal. Cowart blieb einen Moment stehen und blickte an dem wuchtigen, gelben Bau empor. An einer Wand prangte in riesigen roten Neonlettern der Name der Zeitung, ein Synonym für schonungslosen, investigativen Journalismus und Macht. Mit der Rückseite lag das Haus zur Bucht. Oft beobachtete er, wie die Gischt gegen die Rampe spritzte, an der riesige Rollen Zeitungspapier abgeladen wurden. Als er einmal allein mit einem Sandwich in der Cafeteria saß, hatte er nur zehn Meter vom Dock entfernt eine Seekuhfamilie erspäht, die sich in den Wellen tummelte. Ihre braunen Rücken tauchten plötzlich aus dem Wasser und waren wenig später wieder verschwunden. Vergeblich hatte er sich nach jemandem umgesehen, dem er das Schauspiel zeigen konnte, und so hatte er danach mehrere Tage lang in der Mittagspause erneut auf seinem Beobachtungsposten auf die wogende, blaugrüne Wasserfläche gestarrt, um einen zweiten Blick auf die Tiere zu erhaschen. Genau das liebte er an Florida: Als hätte man den Bundesstaat aus einem Dschungel
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher