Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling

Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling

Titel: Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling
Autoren: Lynn Flewelling
Vom Netzwerk:
besaßen, aber diesem Antlitz haftete nichts Weiches an. Die Wangenknochen mochten ein wenig höher sein als die seinen, die Lippen einen Deut voller, doch sie begegnete seinem Blick mit derselben Wachsamkeit, die er zu Hause so oft im Spiegel gesehen hatte – und mit derselben Entschlossenheit.
    »Nicht ›sie‹, Tobin«, flüsterte Arkoniel, der offenbar in seinen Geist gespäht hatte. »Du. Du bist sie. Du hast all die Jahre im Spiegel Bruder gesehen. Aber nicht alles von ihm. Deine Augen sind deine eigenen.«
    »Keine Bindung das ändert. Oder das.« Tobin spürte, wie Lhel das Weisheitsmal berührte, dann hörte er die Stimme der Hexe wieder in seinem Kopf. Das hat sich seit deiner Geburt nicht verändert. Es war immer ein Teil von dir. Und das hier – sie berührte die Narbe – das wurde dir gegeben und wird dir bleiben. Dein ganzes Leben lang hast du geglaubt, Sakor zu folgen, doch Illior hat dich von Geburt an gekennzeichnet. So ist es mit all deinen Erinnerungen, deiner Ausbildung, deiner Kunst, deiner Seele. Mit allem, was du behalten wirst. Aber du wirst mehr als das werden.
    Tobin schauderte und erinnerte sich an die Geisterkönigin, die ihm das Schwert dargeboten hatte. Hatte sie es gewusst und ihm die Waffe als einen Segen geben wollen?
    »Kannst du mich sehen, Arkoniel?«
    »Ja. O ja!« Die Stimme des Zauberers strotzte vor Freude. »Ich bin so froh, dich nach all den Jahren endlich zu sehen, meine Herrin!«
    Meine Herrin.
    Tobin bedeckte die Ohren gegen das Wort, konnte jedoch den Blick nicht vom Spiegelbild im Teich abwenden.
    »Ich weiß, was du befürchtest, Tobin«, sagte Arkoniel in sanftem Tonfall. »Aber du kennst die Geschichten. Vor der Zeit deines Onkels waren die Königinnen Skalas mächtige Kriegerinnen, und es gab Frauen, die als Generäle, Hauptleute, Knappen und Waffenmeister dienten.«
    »Wie Kis Schwester.«
    »Ja, wie Kis Schwester. Und wie Köchin in ihrer Zeit. Es gibt sie noch immer in den Armeen. Du kannst sie zurück an den Hof holen, ihnen wieder zu Ehre verhelfen. Aber nur, wenn du in Sicherheit und verborgen bleibst, bis der rechte Zeitpunkt dafür gekommen ist. Dafür musst du nach Ero zurückkehren und der Welt gegenüber weiterhin Tobin sein. Nari und Iya sind außer uns zwei die Einzigen, die über die Wahrheit Bescheid wissen. Niemand sonst darf es wissen. Nicht einmal Ki oder Tharin.«
    »Aber warum?«, verlangte Tobin zu erfahren. Sie hatte bereits so genug Geheimnisse. Wie sollte sie dieses alleine ertragen?
    »Ich habe deinem Vater und Iya mein Wort gegeben, dass niemand von deinem wahren Ich erfahren würde, bis das Zeichen gegeben wird.«
    »Welches Zeichen?«
    »Das weiß ich noch nicht. Illior wird es offenbaren. Vorerst müssen wir uns in Geduld üben.«
     
    Der Zwischenfall mit der Puppe hatte jede Aussicht darauf zunichte gemacht, dass sich Ki mit dem Geist oder Dämon oder was immer Bruder sein mochte wohl fühlen konnte.
    Dennoch war er nicht darauf vorbereitet, als sich Bruder plötzlich auf ihn stürzte, während sie eine steile, bröckelige Böschung erklommen. Die Kreatur berührte ihn nicht, erschreckte jedoch Drache, der sich aufbäumte und Ki abwarf. Hals über Kopf kullerte er die Böschung hinab. Zum Glück erwies sich der Boden vor Moos und Farn als weich, dennoch bekam er ein paar Steine und Holztrümmer zu spüren, bevor er sich an einem Baum auf halbem Weg den Abhang hinunter verfing.
    »Verdammt noch mal, wofür war das denn?«, keuchte er und versuchte, wieder zu Atem zu gelangen. Er konnte Bruder an der Kuppe des Hügels sehen. Der Geist hatte den Mehlsack an sich genommen und hatte dieses beunruhigende Lächeln im Gesicht, als er zu Ki herabschaute. Das Pferd war längst verschwunden.
    »Was willst du?«, brüllte Ki zu ihm hinauf.
    Bruder schwieg.
    Ki begann, emporzuklettern. Als er erneut aufschaute, war Bruder verschwunden.
    Nachdem er die Böschung erklommen hatte, erblickte er Bruder am Beginn eines Wildpfads ein paar Schritte entfernt, von wo aus er ihn beobachtete. Ki ging einen Schritt in seine Richtung, und Bruder bewegte sich weiter, führte ihn.
    Da Ki nicht wusste, was er sonst tun sollte, lief er hinter ihm her und ließ dem Geist seinen Willen. Schließlich hatte Bruder nun die Puppe.
     
    Lhel hatte Arkoniel zurück hinter die Eiche geführt und Tobin alleine an der Quelle zurückgelassen. Sie kniete, wo sie zurückgeblieben war, starrte auf das Gesicht im Teich hinab und hatte das Gefühl, dass sich die Welt rings um sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher