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Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling

Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling

Titel: Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling
Autoren: Lynn Flewelling
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von Kühle, während sich unten auf dem schmalen Pass kein Lüftchen regte. Überall sonst hätte Iya eine leichte Brise heraufzubeschwören vermocht, aber innerhalb eines Tagesritts von Afra war keinerlei Magie gestattet.
    Vor ihr wankte Arkoniel wie ein zottiger, langbeiniger Storch im Sattel. Der Leinenkittel des jungen Zauberers erwies sich am Rücken als durchschwitzt und allgemein als verdreckt vom Straßenstaub einer Woche. Er beklagte sich nie; sein einziges Zugeständnis an die Hitze hatte darin bestanden, dass er den löchrigen schwarzen Bart opferte, den er sich wachsen gelassen hatte, seit er letzten Erasin einundzwanzig wurde.
    Armer Junge , dachte Iya mitfühlend; die frisch rasierte Haut wies bereits einen schlimmen Sonnenbrand auf.
    Ihr Ziel, das Orakel von Skala, befand sich mitten im gebirgigen Rückgrat Skalas. Der Ritt dorthin galt zu jeder Jahreszeit als beschwerlich. Iya hatte die lange Pilgerreise bereits zweimal zuvor angetreten, allerdings noch nie im Sommer.
    Die Felswände des Passes drängten sich dicht an den Pfad, und die Suchenden mehrerer Jahrhunderte hatten ihre Namen und Bittschriften an Illior Lichtträger in den dunklen Stein geritzt. Manche hatten nur den dünnen Sichelmond des Gottes hinterlassen; die Einträge säumten den Pfad wie unzählige schiefe Lächeln. Arkoniel hatte sich selbst an jenem Vormittag zum Gedenken an seinen ersten Besuch verewigt.
    Iyas Pferd stolperte, und der Grund für ihre Reise schlug ihr heftig gegen den Oberschenkel. In dem abgewetzten Lederbeutel, der vom Sattelknauf hing, befand sich eingehüllt in üppige Wickel und Magie eine unebenmäßige, grob aus gebranntem Lehm gefertigte Schale. An sich hatte sie nichts Bemerkenswertes, außer einer deutlichen Aura der Bösartigkeit, die von ihr ausging, wenn sie nicht verborgen war. Mehr als einmal im Verlauf der Jahre hatte sich Iya ausgemalt, sie von einer Klippe oder in einen Fluss zu werfen; tatsächlich wäre sie dazu ebenso wenig in der Lage gewesen, wie sich den eigenen Arm abzuschneiden. Sie war die Hüterin; seit über einem Jahrhundert trug sie die Verantwortung für den Inhalt jenes Beutels.
    Es sei denn, das Orakel teilt mir etwas anderes mit , dachte sie und band sich das schüttere, graue Haar zu einem Knoten auf dem Kopf. Dann fächelte sie sich abermals Luft an den verschwitzten Hals.
    Arkoniel drehte sich im Sattel herum und musterte sie besorgt. Von seinen unbändigen schwarzen Locken tropfte unter der welken Hutkrempe Schweiß. »Du bist schon ganz rot im Gesicht. Wir sollten anhalten und uns noch einmal ausruhen.«
    »Nein, wir sind fast da.«
    »Dann trink wenigstens noch etwas Wasser. Und setz den Hut wieder auf!«
    »Du gibst mir das Gefühl, alt zu sein. Vergiss nicht, ich bin erst zweihundertdreißig.«
    »Zweihundertzweiunddreißig«, berichtigte er sie mit einem schiefen Lächeln. Es war ein altes Spiel zwischen ihnen.
    Iya setzte eine sauertöpfische Miene auf. »Warte nur, bis du in dein drittes Jahrhundert kommst, mein Junge. Es wird mit der Zeit schwerer, den Überblick über die Jahre zu behalten.«
    Die Wahrheit war, dass ein solch anstrengender Ritt ihr tatsächlich schwerer zu schaffen machte, als in den Tagen, in denen sie Anfang hundert gewesen war, wenngleich sie nicht vorhatte, dies zuzugeben. Stattdessen trank sie einen ausgiebigen Schluck aus dem Wasserbeutel und straffte die Schultern. »Du bist heute so still. Ist dir schon eine Frage eingefallen?«
    »Ich glaube ja. Ich hoffe, das Orakel erachtet sie als würdig.«
    Der Ernst, mit dem Arkoniel an die Sache heranging, brachte Iya zum Lächeln. Er hielt diese Reise lediglich für eine weitere Lektion. Den wahren Grund hatte sie ihm nicht verraten.
    Der Lederbeutel schlug wie ein quengeliges Kind gegen ihren Oberschenkel. Verzeih mir, Agazhar , dachte sie ob des Wissens, dass ihr längst verstorbener Lehrmeister, der erste Hüter, ihr Vorgehen nicht gebilligt hätte.
    Der letzte Abschnitt des Pfades galt zugleich als der tückischste. Die Felswand zur Rechten wich einem Abgrund, und an manchen Stellen schürften ihre Knie die linke Felswand entlang.
    Arkoniel verschwand um eine scharfe Biegung und rief zurück: »Ich kann Illiors Schlüsselloch sehen – genau, wie du es beschrieben hast!«
    Als Iya den Felsvorsprung umrundete, erblickte auch sie den bemalten Torbogen, der sich schillernd wie eine knallige Erscheinung über den Pfad spannte. Drachenmuster schimmerten rot, blau und golden um den schmalen Durchlass,
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