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Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling

Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling

Titel: Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling
Autoren: Lynn Flewelling
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Seriamaius, dem dunklen Gott der Totenbeschwörung, den die Plenimarer anbeteten und der im Großen Krieg Skala beinah zerstört hätte. »Ich habe davon geträumt. Von Krieg und Verheerung, schlimmer als Skala sie je erfahren hat.«
    »Du blickst zu weit, Zauberin.« Das Orakel hob die Schale mit beiden Händen an, und durch eine Tücke des Lichts wirkten seine Augen plötzlich wie klaffende schwarze Löcher im Gesicht. Der Priester war weit und breit nicht mehr zu sehen, obwohl Iya ihn nicht weggehen gehört hatte.
    Das Orakel neigte die Schale nach vorne; grelles Blut ergoss sich daraus, viel zu viel für ein solch kleines Gefäß. Es bildete eine runde Lache auf dem Steinboden zu Füßen des Orakels. Als Iya hineinblickte, sah sie darin das Spiegelbild eines Frauenantlitzes, umrahmt vom Visier eines blutigen Kriegshelms. Iya konnte zwei tiefblaue Augen erkennen, außerdem einen festen Mund über einem spitzen Kinn. Das Gesicht wirkte bald unbarmherzig, bald kummervoll und insgesamt so vertraut, dass sie einen Stich im Herzen verspürte, wenngleich sie nicht zu sagen vermochte, an wen sie diese Augen erinnerten. Flammen widerspiegelten sich auf dem Helm, und irgendwo in der Ferne hörte Iya den klirrenden Lärm einer Schlacht.
    Langsam verblasste die Erscheinung und wurde von jener eines strahlend weißen Palastes ersetzt, der auf einem hohen Felsen stand. Das Bauwerk besaß eine funkelnde Kuppel, und an jeder der vier Ecken ragte ein schmaler Turm empor.
    »Siehe das Haus der Dritten Orëska«, flüsterte das Orakel. »Dort kannst du deine Bürde ablegen.«
    Iya sog ehrfürchtig die Luft ein und beugte sich vor. Der Palast wies hunderte Fenster auf, und an jedem davon stand ein Zauberer, der sie unverwandt ansah. Am höchstgelegenen Fenster des nahsten Turms erblickte sie Arkoniel in blauen Gewändern und mit der Schale in den Händen. Ein kleines Kind mit dichten, blonden Locken stand neben ihm.
    Obwohl sie sich weit entfernt befand, konnte sie Arkoniel deutlich erkennen. Er war ein alter Mann mit tief zerfurchtem und unbeschreiblich erschöpftem Gesicht. Dennoch erfüllte sein Anblick ihr Herz mit Freude.
    »Frag«, forderte das Orakel sie flüsternd auf.
    »Was ist die Schale?«, rief sie Arkoniel zu.
    »Sie ist nicht für uns, aber er wird es wissen«, antwortete Arkoniel und reichte die Schale dem kleinen Jungen. Das Kind sah Iya mit den Augen eines alten Mannes an und lächelte.
    »Alles ist miteinander verwoben, Hüterin«, sprach das Orakel, als sich die Erscheinung verfinsterte. »Dies ist das Vermächtnis, das dir und deinesgleichen dargeboten wird. Eins mit der wahren Königin. Eins mit Skala. Ihr werdet mit Feuer auf die Probe gestellt werden.«
    Iya sah das Zeichen ihres Handwerks – die schmale Sichel von Illiors Mond – vor einem Feuerkreis und der Zahl 222, die darunter in weißen Flammen so grell leuchtete, dass es ihre Augen schmerzte.
    Dann breitete sich vor ihr Ero unter einem vollen Mond aus und stand vom Hafen zur Zitadelle in Flammen. Eine Armee unter dem Banner Plenimars, zu zahlreich, um ihre Stärke abzuwägen, umzingelte die Stadt. Erius führte seine Streitkräfte gegen sie ins Feld. Doch seine Soldaten fielen hinter ihm tot um, und das Fleisch löste sich in Fetzen von den Knochen seines Schiachtrosses. Die Plenimarer scharten sich wie Wölfe um den König, und er geriet außer Sicht. Die Erscheinung vollzog eine weitere Schwindel erregende Veränderung, und Iya sah die Krone Skalas, die verbogen und stumpf auf einem kahlen Feld lag.
    »Solange eine Tochter der Linie des Thelátimos über das Reich herrscht und es verteidigt, wird Skala niemals unterjocht werden«, flüsterte das Orakel.
    »Ariani?«, fragte Iya, doch bereits als sie die Worte aussprach, wurde ihr klar, dass es nicht das Antlitz der Prinzessin gewesen war, das sie in jenem Helm gesehen hatte.
    Das Orakel begann, sich hin und her zu wiegen und stimmte ein Klagelied an. Es hob die Schale an und ergoss sich wie ein Trankopfer den endlosen Strom über den Kopf, tünchte sich in Blut. Dann sank es auf die Knie und ergriff Iyas Hand; ein Wirbelwind erfasste sie und raubte Iya die Sicht.
    Ein kreischender Sturm tobte rings um sie, dann drang er von oben in ihren Kopf ein und stieß wie die Ahle eines Schusters abwärts durch ihr Innerstes. Bilder flatterten wie im Wind treibende Blätter an ihr vorbei: die seltsame Zahl auf dem Schild und die behelmte Frau in zahlreichen Gestalten und Umständen – alt, jung, in Lumpen,
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