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Per Anhalter (German Edition)

Per Anhalter (German Edition)

Titel: Per Anhalter (German Edition)
Autoren: Oke Gaster
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Prolog
     
    Mit einem Glas Sekt vor der Nase saß die alleinerziehende Mutter von zwei Kindern, Mareike Gimm, in ihrem Wohnzimmer. Sie hatte die Beine übereinander geschlagen und starrte abwesend die Wand an. Der Fernseher war zwar angeschaltet, doch sie folgte dem Programm nicht.
    Sie war viel zu sehr damit beschäftigt, ihre Probleme zu wälzen.
    Noch vor weniger als einem Monat hatte alles so gut ausgesehen. Vor einem Monat noch… Es war noch nicht lang her.
    Trotz seines wahrhaft nur mittelmäßigen Hauptschulabschlusses, hatte ihr Sohn David einen Ausbildungsplatz in der Tasche. Ihre über lange Zeit größte Sorge war damit vom Tisch.
    David war ein Träumer, genau wie sein Vater, und ganz bestimmt war „Einzelhandelskaufmann“ alles andere als sein Wunschberuf. Genau genommen hatte David keinen richtigen Wunschberuf. Was er hatte, waren Träume . So schwirrten beispielsweise Luftschlösser wie Architekt oder Projektmanager in seinem von infantiler Einfältigkeit beherrschten Kopf als Berufswunsch herum.
    Meine Güte, wie oft hatten sie ganze Nachmittage lang da gesessen, genau hier im Wohnzimmer, und stundenlang darüber diskutiert, dass man nicht einfach mal eben Architekt wurde, sondern das man sich dafür, verdammt noch mal, auf den Hosenboden setzen und lernen musste.
    „Du willst Architekt werden?“ hatte sie ihn mehrfach gefragt, „Mit einem Hauptschulabschluss?“, und David hatte es bejaht. Ja, er wollte Architekt werden. Und was hatte sie getan, wohl wissend dass es doch zu nichts führen würde? Sie war zum Arbeitsamt gegangen und hatte sich Unterlagen über den Beruf des Architekten besorgt. Dann hatte sie das Internet durchforstet und bestimmt 50-60 Seiten umfassendes Material zusammen bekommen, das gespickt war mit Voraussetzungen für den Beruf des Architekten, der Beschreibung des Berufes, Erfahrungsberichten von Studenten und, und, und…
    Ob David sich überhaupt nur eine Seite davon durchgelesen hatte, wusste sie nicht. Das heißt, eigentlich wusste sie ganz genau, dass er es nicht getan hatte. Das hätte Aufmerksamkeit gefordert, Anstrengungsbereitschaft, Wissbegierde…
    Sie jedenfalls hatte sich den Stapel durchgelesen und das hatte sie nur in ihrer Ansicht gefestigt: Nur weil jemand ein bisschen Mathe kann, wird er nicht gleich Architekt.
    Sie hatte ihm die Leier ständig gepredigt, stundenlang, tagelang.
    David war so ehrgeizig wie ein Sack Kartoffeln. Er würde niemals, auch in hundert Jahren nicht, den Anspruch an sich haben, alles zu geben und der Beste zu sein.
    Möglich, vielleicht war seine schwierige Kindheit schuld daran, vielleicht auch sie selbst, die ebenfalls nicht mit einem Überschuss Selbstwertgefühl gesegnet war. Zwei Kinder – zwei verschiedene Väter. Zwei gescheiterte Ehen und eine knappe Handvoll Haiopais, die sie allesamt sitzen ließen und zum Teil nicht einmal dazu in der Lage waren, einen Nagel in die Wand zu schlagen, geschweige denn sich vom Sofa aufzurappeln um wenigstens den Müll rauszutragen.
    Dann kamen Davids Gene dazu. Sein Vater war ein Trinker. Er hatte damals schon mehr gesoffen als gut für ihn gewesen wäre, aber heute war er nach ihrem Kenntnisstand ein totales Wrack. Sie hatte es aus zuverlässiger Quelle erfahren. Ihre ehemalige Nachbarin Anna Reimer arbeitete als Arzthelferin in der Praxis, in der er Patient war und hatte von Zeit zu Zeit die Grundlagen zum Schutz von Patientendaten missachtet, und den einen oder anderen Schwank über ihn erzählt.
    Angeblich sah er inzwischen, Zitat, „Wie ein Serienmörder“ aus. Er trug immer die gleiche schmuddelige Jogginghose und immer das gleiche gelbe Nike T-Shirt, das voll war mit diversen Flecken und Löchern. Laut Annas Aussage hatte er „Augenringe bis Timbuktu“ und „stank wie ein Berber!“
    Kontakt bestand weder von ihrer noch von Davids Seite mehr zu ihm.
    Darüber war sie auch nicht traurig – aber gegen Gene kann man nun einmal nichts unternehmen.
    Und David hatte leider sehr viel von dem mitbekommen, was seinen Vater ausmachte.
    Durchaus auch gutes! Er war ein ansehnlicher, ein hübscher junger Mann (wie sein Vater es einmal war).
    Er hatte tief dunkles Haar, beinahe schwarz, große braune Augen und ein bemerkenswert männliches Gesicht. Trotzdem tat er sich zu ihrer Überraschung schwer damit, eine Freundin zu finden.
    Derzeit hatte er zwar eine, aber die war leider eines seiner größten, wenn nicht das Größte seiner Probleme. Er hatte sie im Internet kennengelernt, auf
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