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Talk Talk

Talk Talk

Titel: Talk Talk
Autoren: T.C. Boyle
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hinter der aufgeschwemmten Frau durch die Tür.
    Drinnen trennte ein taillenhoher Tresen den für die Öffentlichkeit zugänglichen Raum (die Fahnen Kaliforniens und der USA , grelles Deckenlicht und Linoleum, das glänzte, als wollte es dem Straßenschmutz und den Ausscheidungen trotzen, mit denen es täglich in Berührung kam) vom Allerheiligsten, wo die Streifen- und Kriminalbeamten ihre Tische hatten, und dem unauffälligen Korridor, der vermutlich zu den Arrestzellen führte. Wo Dana war. Als er an den Tresen trat, spähte er dorthin, als könnte er einen Blick auf sie erhaschen, aber das konnte er natürlich nicht. Sie steckte bereits in irgendeiner Zelle, zusammen mit Prostituierten, Säuferinnen und Frauen, die gewalttätig geworden waren, und bei dem Gedanken daran überlief es Bridger kalt. Sie würden über sie herfallen. Sie war ja nicht hilflos – er kannte keine selbständigere Frau –, aber sie war naiv, zu mitfühlend, und sobald die herausgefunden hatten, daß sie taub war, hatten sie etwas, womit sie sie fertigmachen konnten. Er dachte daran, wie Penner sich an sie hängten, wann immer er mit ihr irgendwohin ging: als wäre Dana ihre Sonderbotschafterin, als stünde sie aufgrund ihrer Behinderung – halt, ihrer Andersartigkeit – auf dem Niveau einer Obdachlosen. Oder auf einem noch niedrigeren.
    Aber das hier war ein Mißverständnis. Offensichtlich. Und ganz egal, was sie haben wollten – er würde sie hier rausholen, bevor die ihre Krallen in sie schlagen konnten. Er wartete hinter der dicken Frau und sah reflexhaft alle paar Sekunden auf die Uhr. Zehn nach elf. Elf nach elf. Zwölf nach elf. Die dicke Frau beklagte sich über den Hund ihres Nachbarn: Sie könne nicht schlafen, nicht essen, nicht denken, weil der Köter ununterbrochen belle, und sie habe bereits zweiundzwanzigmal die Polizei angerufen, dieses Revier, und zum Beweis die Telefonrechnungen der letzten fünfzehn Monate mitgebracht. Was gedenke man nun zu unternehmen? Oder müsse sie hier stehenbleiben, bis sie tot umfalle? Denn das werde sie tun. Einfach hier stehenbleiben.
    Radko war nicht erbaut, als Bridger es ihm sagte. »Es ist wegen Dana«, erklärte Bridger, als er ihn auf dem Weg zum Kühlschrank abfing. Er klopfte bereits seine Taschen nach dem Wagenschlüssel ab. »Sie ist verhaftet worden. Es ist ein Notfall.«
    Das Licht flackerte und wurde schwächer. Drex III leuchtete bedrohlich auf dem Bildschirm – noch siebenundzwanzig Tage, bis der Planet seinen Platz unter den anderen Himmelskörpern einnehmen mußte. Radko trat einen Schritt zurück und kniff die Augen mit den schweren Lidern zusammen. »Nottfall?« wiederholte er. »Wieso Nottfall? Werden jeden Tag Menschen in Gefängnis gesteckt.«
    »Nein«, sagte Bridger, »du hast mich falsch verstanden. Sie hat nichts getan. Es ist ein Irrtum. Ich muß... also, ich weiß, das klingt blöd, aber ich muß hinfahren und sie rausholen. Sofort.«
    Schweigen. Radko preßte die Lippen zusammen und bedachte ihn mit einem Blick, dem Pixel, einer unvermittelten Inspiration folgend, den Titel »Paranoia überfällt Frosch« gegeben hatte.
    »Ich meine, ich kann sie doch nicht da drin lassen. In einem Gefängnis. Würdest du gern in einem Gefängnis sitzen?«
    Falsche Frage. »In meinem Land«, erwiderte Radko, »die Menschen werden geboren im Gefängnis, kriegen Kinder im Gefängnis, sterben im Gefängnis.«
    »Und ist das gut?« wollte Bridger wissen. »Bist du nicht darum hergekommen?«
    Doch Radko drehte sich einfach um und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Pah!« war alles, was er dazu sagte.
    »Ich gehe jedenfalls«, sagte Bridger und sah, daß Plum sich weit zurücklehnte, um das Spektakel besser verfolgen zu können. »Nur damit du Bescheid weißt – ich muß einfach.«
    Radkos eine Hand ruhte auf dem Griff der Kühlschranktür, die andere beschrieb einen raschen Bogen und zeigte mit einem mahnenden Finger auf Bridger. »Eine Stunde«, knurrte er mit tiefer Stimme. »Maximal. Nur damit du Bescheid weißt.«
    Der wachhabende Beamte – beginnende Glatze, ergraute Koteletten, milchige, verärgerte Augen, Lesebrille auf der Nasenspitze – versuchte, die Frau mit sanften Worten zu beschwichtigen, aber sie war nicht gekommen, um sich beschwichtigen zu lassen. Nein, sie wollte, daß etwas geschah. Je sanfter der Beamte sprach, desto lauter wurde die Stimme der Frau, bis er sich schließlich abwandte und jemanden herbeiwinkte. Wenige Sekunden später stand ein wesentlich
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