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Talk Talk

Talk Talk

Titel: Talk Talk
Autoren: T.C. Boyle
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während der Arbeitszeit keine Klingeltöne oder Melodien hören, denn seine Angestellten sollten nicht durch persönliche Telefonate abgelenkt werden, ebensowenig wie sie im Internet surfen, Chatrooms besuchen und auf Instant Messengern eingeloggt sein sollten, und darum hatte Bridger den Summer seines Handys aktiviert, das er immer in die rechte Hosentasche steckte, damit er das eigenartige Schnurren gleich spürte und den Anruf diskret annehmen konnte. »Hallo?« sagte er und hielt seine Stimme im Bereich eines Bühnenflüsterns.
    »Ja, hallo. Hier ist die Polizei von San Roque, Charles Iverson. Ich bin Gehörlosendolmetscher und habe Dana Halter hier.«
    » Polizei? Was ist passiert? Hatte sie einen Unfall?«
    »Hier ist Dana«, sagte die Stimme, als gehörte sie einem Medium, durch das ein Geist sprach. »Du mußt herkommen und eine Kaution stellen.«
    »Warum? Was hast du gemacht?«
    »Ich weiß nicht«, sagte die Stimme, die Männerstimme. Sie war tief und rasselnd wie eine Handvoll Kies. »Ich hab ein Stoppschild überfahren, und jetzt denken sie, daß ich –«
    Pause. Vom Bildschirm starrte Kade ihn an – die linke Seite seines Kopfes war noch von dem weißen Heiligenschein eingerahmt. Das kümmerliche Neonlicht wurde kurz heller und dann wieder schwächer, irgendwo flackerte immer eine Röhre. Plum, die einzige Frau unter ihnen, stand auf und ging in Richtung Toilette.
    Iversons Stimme fuhr fort: »– sie denken, daß ich all diese Verbrechen begangen habe, aber« – wieder eine Pause – »das hab ich nicht.«
    »Natürlich nicht«, sagte er und stellte sich Dana in einer Polizeiwache vor, das Gesicht vom Telefonapparat abgewandt, während der Mann mit der Stimme Gebärden machte, im Hintergrund Fahndungsfotos und Steckbriefe. Alles an diesem Bild war falsch. »Ich dachte, du wolltest zum Zahnarzt«, sagte er. Und dann: »Verbrechen? Was für Verbrechen?«
    »Ich war ja unterwegs zum Zahnarzt«, sagte Iverson. »Aber ich hab ein Stoppschild überfahren, und der Polizist hat mich verhaftet.« Da war noch mehr – Bridger konnte Danas Stimme im Hintergrund hören –, aber Iverson gab ihm die Kurzfassung. Ohne weitere Erklärung las er die Anklageliste vor, als wäre er ein Kellner, der die Tageskarte herunterbetete.
    »Aber das ist doch verrückt«, sagte Bridger. »Du hast doch nie... Ich meine, sie hat doch nie im Leben –«
    »Die Zeit ist um«, sagte Iverson.
    »Okay, ich bin gleich da. In zehn Minuten, vielleicht früher.« Bridger sah auf, als Plum sich wieder auf ihren Stuhl setzte, und senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Wie hoch ist die Kaution? Ich meine, was kostet es?«
    »Was? Sprechen Sie lauter. Ich kann Sie nicht verstehen.«
    Radko erschien am Ende des Gangs, und Bridger beugte sich weiter vor, um das Handy abzuschirmen. »Die Kaution – wie hoch?«
    »Die ist noch nicht festgesetzt worden.«
    »Gut«, sagte Bridger. »Okay. Bin gleich da. Ich liebe dich.«
    Wieder eine Pause. »Ich dich auch«, sagte Iverson.
    Er war noch nie in der Polizeiwache von San Roque gewesen und mußte die Adresse erst im Telefonbuch nachschlagen, und als er in die Straße einbog, stellte er überrascht fest, daß auf beiden Seiten Streifenwagen geparkt waren, einer hinter dem anderen. Es dauerte eine Weile, bis er einen Parkplatz gefunden hatte. Er mußte einige Runden um den ganzen Block drehen, bis endlich einer wegfuhr, und dann setzte er gewissenhaft den Blinker und parkte mit großer Sorgfalt zwischen zwei schwarz-weißen Polizeiwagen. Er war aufgeregt. Er war in Eile. Aber dies war weder die Zeit noch der Ort für einen verbeulten Kotflügel oder auch nur einen Stups mit der Stoßstange.
    Eine aufgeschwemmte, schnaufende Frau, um deren Augen Ringe aus getrocknetem Blut waren – oder war das ihr Make-up? – stapfte vor ihm die Treppe hinauf, und er war geistesgegenwärtig genug, ihr die Tür aufzuhalten, was ihm Gelegenheit gab, sich kurz zu sammeln. Seine Kontakte zur Polizei waren bisher durchweg formaler Natur gewesen (»Okay, aussteigen!«), und er war genau zweimal festgenommen worden, einmal mit vierzehn, wegen Ladendiebstahls, und einmal als Collegestudent, weil er betrunken gefahren war. Rein theoretisch war ihm klar, daß die Polizei die Gesellschaft (also auch ihn) zu schützen und ihr zu dienen hatte, aber dennoch war er jedesmal, wenn er einen Polizisten sah, plötzlich beunruhigt und verspürte ein gewisses Schuldgefühl. Selbst Wachmänner waren ihm nicht geheuer. Aber egal: Er trat
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