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Talk Talk

Talk Talk

Titel: Talk Talk
Autoren: T.C. Boyle
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vielleicht hatte sie ihn im Flur gesehen, mit gesenktem Kopf und zielstrebigen Schritten. Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Ich bin froh, daß Sie da sind«, sagte sie laut und hob die gefesselten Hände in dem Versuch, Gebärden zu machen, wie sie es immer tat, wenn sie aufgeregt war. »Ein Riesenirrtum. Ich hab bloß ein Stoppschild überfahren... und die, die...« Sie spürte den Schmerz und die Wut über diese Ungerechtigkeit aufwallen und mühte sich, ihre Mimik zu beherrschen. Und ihre Stimme. Die war anscheinend entgleist, denn die Leute starrten herüber: der wachhabende Beamte, eine Sekretärin mit ausladender Figur und hartem Gesicht, zwei junge Latinos mit schräg aufgesetzten Baseballmützen und riesigen Shorts, die vor dem Tresen standen. Ihrer aller Körpersprache sagte: Jetzt krieg dich mal wieder ein .
    Iverson ließ sich Zeit. Seine Gebärden waren eckig und wenig elegant, aber gut verständlich, und sie konzentrierte sich auf ihn, während er ihr erklärte, was man ihr vorwarf. Es liegen mehrere Haftbefehle vor , begann er, und zwar aus Marin County, aus Tulare und diversen L. A. Countys, außerdem aus Nevada, nämlich aus Reno und Stateline.
    Haftbefehle? Was für Haftbefehle?
    Er trug ein Sportjackett über einem T-Shirt mit dem Namen einer Basketballmannschaft. Seine Haare waren mit Spray oder Gel behandelt, allerdings nicht sehr erfolgreich – sie standen hoch wie die Flaumfedern der Küken, die sie in der Grundschule unter einer Wärmelampe gehalten hatten, und sie waren fast farblos. Er zog ein gefaltetes Stück Papier aus der Innentasche des Jacketts, schien einen Augenblick nachzudenken und wog es wie ein Messer in der Hand, bevor er es auf seinen Schoß fallen ließ und in Gebärdensprache sagte: Nichterscheinen vor Gericht in mehreren Fällen, zu verschiedenen Zeitpunkten und an verschiedenen Gerichten im Verlauf der vergangenen zwei Jahre. Ungedeckte Schecks, Autodiebstahl, Besitz von staatlich kontrollierten Substanzen, Angriff mit einer tödlichen Waffe – die Liste ist noch nicht zu Ende. Er sah ihr unverwandt in die Augen. Sein Mund war fest geschlossen – kein Mitgefühl. Da merkte sie, daß er es glaubte. Er glaubte, sie habe ein Doppelleben geführt, jede Regel des Anstands verletzt und die Gemeinschaft der Gehörlosen in Verruf gebracht. Wieder einmal war ein Vorurteil der Hörenden bestätigt worden. Ja, sagte sein Blick, die Gehörlosen leben nach ihren eigenen Regeln, und die sind minderwertig und verwässert, sie leben von uns und auf unsere Kosten. Dieser Blick hatte sie ihr Leben lang begleitet.
    Er gab ihr das Papier, und da stand alles: Daten, Orte, Polizeidienststellen, zur Last gelegte Tatbestände. Der Name irgendeines höheren Gerichtes, darunter: »Anklage wegen schwerer Vergehen«, und darunter, unglaublich, ihr Name, in Großbuchstaben, unleugbar und unauslöschlich, und am Rand des Blatts waren untereinander die Nummern der Haftbefehle aufgeführt.
    Sie sah auf, und es war, als hätte man sie ins Gesicht geschlagen. Ich bin überhaupt noch nie im County Tulare gewesen – ich weiß nicht mal, wo das ist. Und in Nevada auch nicht. Das ist verrückt. Es ist ein Fehler, ein Irrtum, weiter nichts. Sagen Sie ihnen, daß es ein Irrtum ist.
    Ein kalter Blick, eine knappe Gebärde. Sie dürfen ein Telefongespräch führen.

ZWEI
    Bridger arbeitete. Der Morgen war in Starbucks-Kaffee und der dämmrigen Unwirklichkeit des Studios ertrunken, und Bridger sah, hörte und atmete die virtuelle Welt auf dem Monitor. Der Frame war in einer Düsternis aus Mahagoni- und Kupfertönen erstarrt, und Bridger arbeitete an einem neuen Kopf. Sein Boß Radko Goric, ein achtunddreißigjähriger Unternehmer mit 200-Dollar-Designer-Sonnenbrillen, Pierro-Quarto-Jacketts in seltsamen Farben und klotzigen Vinylschuhen vom Wühltisch, hatte drei andere Special-Effects-Firmen unterboten, um den Auftrag für die Nachbearbeitung dieses Films zu bekommen, des letzten Teils einer Trilogie, die auf einem weit entfernten, lebensfeindlichen Planeten spielte, wo an Saurier erinnernde Kriegsherren um die Macht kämpften und menschliche Söldner einem uralten Kriegerethos gehorchten und wechselnde Bündnisse eingingen. Alles schön und gut. Bridger war ein Fan dieser Filme – die ersten beiden hatte er sechs- oder siebenmal gesehen und den Detailreichtum, das Tempo und den Flow der Special Effects bewundert –, und er war mit den besten Absichten, ja geradezu mit Euphorie in das Projekt eingestiegen.
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