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Talk Talk

Talk Talk

Titel: Talk Talk
Autoren: T.C. Boyle
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transportiert. »Ich hoffe«, hatte er gesagt. »Bestimmt. Aber ganze Nacht, nicht bloß Mitternacht.« Sei nicht egoistisch, rief Bridger sich zur Ordnung. Denk an Dana, denk daran, was sie durchmacht. Er schob das Bild beiseite: Dana in einer Zelle mit einem halben Dutzend fremder Frauen, die sie verspotteten, irgend etwas von ihr wollten, sie angriffen. In einer solchen Situation war Dana praktisch wehrlos – das seltsame, flache, tonlose Flattern ihrer Stimme, das er so liebenswert fand, würde auf die anderen, diese wütenden, harten Frauen, nur provozierend wirken. Das Ganze war ein Irrtum. Es konnte nur ein Irrtum sein.
    Er starrte ins Leere. Der wachhabende Beamte hinter dem Tresen, die Leidgenossen in diesem Fegefeuer, die trostlosen Wände und der schimmernde Boden verschwammen, und er dachte daran, wie er Dana vor etwas über einem Jahr zum ersten Mal gesehen hatte. In einem Club. Er war nach der Arbeit mit Deet-Deet ausgegangen, sie waren beide ziemlich fertig gewesen und hatten, trotz der Augentropfen, zwinkernde, geschwollene Augen, weil sie von zehn Uhr morgens bis acht Uhr abends ununterbrochen auf ihren Bildschirm gestarrt hatten. Zuerst aßen sie Sushis und kippten sich ein paar Schalen kalten Sake hinter die Binde, und weil sie unbedingt etwas Entspannendes tun mußten, beschlossen sie, eine Runde durch die Clubs zu drehen und zu sehen, was sich ergab – dabei war es erst Montag, und vor ihnen lag die ganze trostlose Woche wie eine Szenerie aus Dune – Der Wüstenplanet . Deet-Deet hatte sich gerade von seiner Freundin getrennt, und Bridger war ebenfalls ungebunden (seit drei fruchtlosen Monaten), und daher schien das, vor allem nach den Sakes, ein guter Plan zu sein.
    Sie warteten in der Schlange vor dem Doge, es war halb elf, der Nebel schob sich vom Meer heran, wälzte sich durch die Straßen und ließ den Asphalt im Scheinwerferlicht der dahinkriechenden Wagen schimmern, als Deet-Deet seinen Monolog über die Fehler und Unmäßigkeiten seiner Exfreundin unterbrach, um sich eine Zigarette anzuzünden, und Bridger die Gelegenheit nutzte und sich umblickte, um ihre Chancen abzuschätzen. Dieser Club hatte Fenster zur Straße, und das Pulsieren der Musik und das zuckende Blitzen des Stroboskoplichts drangen hinaus, so daß man einen Eindruck bekam und entscheiden konnte, ob es die fünf Dollar Eintritt lohnte. Es war das übliche Gewurle von Menschen, die unter der Wucht der Musik (oder jedenfalls der Baßläufe, denn die waren so ziemlich das einzige, was man hören konnte) auf und ab wogten. Glieder wurden ausgestreckt und angezogen, Köpfe wurden vom Zucken des Stroboskops abgeschlagen und im nächsten Augenblick wieder aufgesetzt, Knie wurden gehoben, Hintern aneinandergestoßen – es war das gleiche Szenario wie gestern, wie morgen und übermorgen. Bridgers Augen brannten. Der Sake setzte ihm zu. Er wollte Deet-Deet gerade sagen, er habe sich die Sache mit dem Club anders überlegt, er bekomme jetzt schon Kopfschmerzen, und außerdem sei es erst Montag, und sie müßten morgen früh um zehn wieder die Drähte in dem endlosen Kung-Fu-Film retuschieren, den sie seit drei Wochen bearbeiteten, als er Dana sah.
    Sie stand am Rand der Tanzfläche, gleich neben einer mannshohen Box, stampfte im Baßrhythmus mit den Füßen – den nackten Füßen – und bewegte die Ellbogen, als machte sie Aerobic-Übungen, als stünde sie auf einem Stepper. Vielleicht war sie im Geist auch bei irgendeinem Volkstanz – jupidu, schwing deinen Partner im Kreis. Sie hatte die Augen fest geschlossen, die Knie zuckten, die Füße hoben und senkten sich. Rotes Scheinwerferlicht fiel auf ihr Haar und setzte es in Brand.
    »Tja, was meinst du – irgendwas Interessantes?« fragte Deet-Deet. Er war fünfundzwanzig, eins sechsundsechzig groß und favorisierte den Gothic Style, auf den die meisten in der Special-Effects-Branche setzten. In Wirklichkeit hieß er Ian Fleischer, doch bei Digital Dynasty wurden alle nur mit ihren Webnamen angeredet, ob sie wollten oder nicht. Bridger war unter dem Namen »Sharper« bekannt, weil er damals, als er noch ein Staubwischer gewesen war, als er noch mit Hingabe und Sorgfalt zu Werk gegangen war und seine Arbeit aufregend gefunden hatte, immer zu den Computerfuzzis gerannt war und sie um schärfere 3-D-Bilder gebeten hatte. »Weil ich nämlich noch nicht weiß, ob ich lange aufbleiben will«, schob Deet-Deet als Erklärung nach, »und ich glaube, dieser Sake haut ganz schön rein.
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