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Talk Talk

Talk Talk

Titel: Talk Talk
Autoren: T.C. Boyle
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jüngerer Beamter – ein gertenschlanker Latino in einer wie maßgeschneidert wirkenden Uniform – an dem Durchgang mit der Schwingtür, der zum Bürobereich führte. »Das ist Officer Torres«, sagte der wachhabende Beamte. »Er wird Ihnen helfen. Er ist unser Hundeexperte. Stimmt’s, Torres?«
    Der andere verzog keine Miene. »Genau«, sagte er, »das stimmt. Ich bin der Hundeexperte.«
    Der wachhabende Beamte wandte sich zu Bridger. »Ja?« sagte er.
    Bridger trat in seinen Nikes von einem Fuß auf den anderen, richtete den Blick auf einen Punkt knapp links vom Kopf des Polizisten und sagte: »Ich komme wegen Dana, Dana Halter.«
    Zwei Stunden später wartete er noch immer. Es war Freitag, inzwischen Freitag nachmittag, und die Dinge kamen nicht in Gang. Man schlingerte gemütlich auf das Wochenende und die durchgeknallte Parade von Betrunkenen und Streitlustigen zu, die nur kommen und schön auf den Putz hauen sollten – das war diesen Männern und Frauen mit den teigigen Gesichtern vollkommen gleichgültig, diesen Schreibtischhengsten und Bürokraten, diesen Schlafwandlern mit dem abwesenden Blick. Sie würden um fünf nach Hause fahren und die Beine hochlegen, und bis dahin würden sie zu Aktenschränken schlurfen und mit zwei Fingern auf Computertastaturen tippen, und das alles in einer Zone, wo niemand, schon gar nicht Bridger, sie erreichen konnte. Es war ihm gelungen, dem Beamten mit den grauen Koteletten ein paar wertvolle Informationen zu entlocken. Ja, man hatte sie eingeliefert. Nein, eine Kaution war noch nicht festgesetzt. Nein, er konnte sie nicht sehen. Nein, er konnte auch nicht mit ihr sprechen. Und danach hatte Bridger sich auf eine Bank am Eingang gesetzt. Er hatte nichts zu lesen, er konnte nur warten.
    Außer ihm warteten noch vier andere: ein sehr alter Mann, der in einem dicken Anzug so kerzengerade dasaß, daß sein Jackett die Sitzfläche nicht berührte; eine arabisch wirkende Frau unbestimmten Alters, die einen Kaftan oder eine Art religiöses Festgewand trug, und neben ihr ein unablässig die Beine schlenkernder Junge, ihr Sohn, der ungefähr fünf war, auch wenn Bridger sich mit Kindern nicht gut auskannte und merkte, daß er in Hinblick auf das Alter des Jungen immer unsicherer wurde, je öfter er ihn ansah – eigentlich hätte er ebensogut drei oder zwölf Jahre alt sein können; schließlich, am weitesten entfernt von Bridger, eine junge Frau um die Zwanzig, deren Gesicht und Figur nicht sonderlich attraktiv waren, die jedoch nach zwei Stunden verstohlenen Beobachtens langsam einen gewissen Reiz bekam. Etwa hundert Leute waren in diesem Zeitraum gekommen und gegangen. Die meisten hatten leise und ehrerbietig mit dem wachhabenden Beamten gesprochen und waren unter Verbeugungen wieder verschwunden. Die dicke Frau war längst in ihre Bellzone zurückgekehrt.
    Bridger langweilte sich gründlich. Er konnte ohnehin nicht gut stillsitzen, es sei denn, er war in ein Computerspiel vertieft oder in die giftgashaltige Atmosphäre von Drex III oder irgendein anderes digitales Szenario eingetaucht, und er ertappte sich dabei, daß er beinahe soviel herumzappelte wie der Junge (der mit den Beinen schlenkerte, als wäre die Bank eine übergroße Schaukel, auf der er sie alle immer höher hinauf- und aus diesem Ort des Stumpfsinns hinausschaukeln wollte). Minutenlang starrte Bridger vor sich hin und dachte an nichts, aber dann tauchten seine Ängste um Dana wieder auf, und er sah ihr Gesicht vor sich, die süße Verwirrung um ihren Mund oder die Art, wie sie die Brauen zusammenzog, wenn sie eine Frage stellte – Wieviel Uhr ist es? Wo, hast du gesagt, ist die Omelettpfanne? Wie viele Schnapsgläser Triple Sec? –, und sein Magen zog sich vor Sorge zusammen. Und vor Hunger. Ihm fiel ein, daß er weder den Frühstücks- noch den Mittagsbagel gegessen hatte – er hatte nichts im Magen außer Starbucks, und er spürte die Säure in die Kehle steigen. Was war eigentlich los mit diesen Leuten? Konnten sie nicht mal eine einfache Frage beantworten? Ein Formular ausfüllen? Eine Information zügig weitergeben?
    Er ermahnte sich, ruhig zu bleiben, auch wenn es ihm schwerfiel angesichts der Tatsache, daß er Radko bereits sechsmal angerufen hatte und dieser zunehmend ungeduldig geworden war. »Ich arbeite bis Mitternacht«, hatte Bridger versprochen, »ich schwöre es.« Radkos Stimme, kiellastig und voller knüppelnder Konsonanten, hatte die Bedeutung seiner Worte mit kleinen Explosionen
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