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Tage in Burma

Tage in Burma

Titel: Tage in Burma
Autoren: George Orwell
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hat! Seht diese Lumpen, die ich trage! Und er sitzt da, der Lügner, der Feigling, und tut so, als ob er mich nicht sähe! Er würde mich an seinem Tor verhungern lassen wie einen Pariahund. Ha, aber ich werde Schande über dich bringen! Dreh dich um und schau mich an!
    Schau diesen Körper an, den du tausendmal geküßt hast - schau
    -«
    Sie begann sogar ihre Kleider aufzureißen - die letzte
    Beleidigung einer burmanischen Frau von niedriger Geburt. Das Harmonium quiekte, als Mrs. Lackersteen eine krampfhafte
    Bewegung machte. Die Leute hatten endlich ihre Fassung
    wiedergewonnen und begannen sich zu rühren. Der Geistliche, der erfolglos geblökt hatte, fand seine Stimme wieder. »Schafft
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    diese Frau raus!« sagte er scharf.
    Florys Gesicht war leichenblaß. Nach dem ersten Augenblick hatte er sein Gesicht von der Türe abgewandt und seine Zähne zusammengebissen, verzweifelt darum bemüht, unbeteiligt
    auszusehen. Aber es war nutzlos, völlig nutzlos. Sein Gesicht war so gelb wie Knochen, und der Schweiß glänzte auf seiner Stirn. Francis und Samuel vollbrachten vielleicht die erste nützliche Tat ihres Lebens, indem sie plötzlich von ihrer Bank aufsprangen, Ma Hla May an den Armen packten und sie
    hinausbeförderten, immer noch kreischend.
    Es schien sehr still in der Kirche zu sein, als sie sie endlich außer Hörweite geschleppt hatten. Die Szene war so heftig
    gewesen, so erbärmlich, daß sie alle aus der Fassung gebracht hatte. Selbst Ellis sah angewidert aus. Flory konnte weder sprechen noch sich rühren. Er saß da und starrte unverwandt den Altar an, sein Gesicht war starr und so blutleer, daß das
    Muttermal wie ein Streifen blauer Farbe darauf zu leuchten schien. Elizabeth sah flüchtig von der anderen Seite des Gangs zu ihm herüber, und ihr wurde fast übel von ihrem Abscheu. Sie hatte zwar kein Wort von dem verstanden, was Ma Hla May
    sagte, doch die Bedeutung der Szene war völlig klar. Der
    Gedanke, daß er der Liebhaber von dieser irren Kreatur mit grauem Gesicht gewesen war, ließ sie in ihren Knochen erbeben.
    Aber schlimmer noch, schlimmer als alles andere war seine
    Häßlichkeit in diesem Augenblick. Sein Gesicht entsetzte sie, es war so gräßlich, starr und alt. Es war wie ein Totenschädel. Nur sein Muttermal schien darin noch am Leben. Sie haßte ihn jetzt wegen seines Muttermales. Sie hatte bis zu diesem Augenblick nicht gewußt, wie entehrend es war, wie unverzeihlich.
    Wie das Krokodil hatte U Po Kyin am schwächsten Punkt
    zugeschlagen. Selbstverständlich war diese Szene U Po Kyins Werk. Er hatte, wie üblich, seine Chance gesehen und Ma Hla May mit erheblicher Sorgfalt abgerichtet. Der Geistliche schloß seine Predigt fast unverzüglich. Sobald sie zu Ende war, eilte
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    Flory hinaus, ohne einen der andern anzuschauen. Es wurde
    langsam dunkel, Gott sei Dank. Fünfzig Meter von der Kirche entfernt machte er halt und beobachtete, wie die anderen in Paaren sich zum Club begaben. Es schien ihm, daß sie sich
    beeilten. Ja, natürlich! Jetzt hatten sie heute abend im Club etwas zu besprechen! Flo wälzte sich bauchaufwärts gegen seine Knöchel, zu einem Spiel einladend. »Scher dich weg, du
    verdammtes Vieh!« sagte er, und trat sie. Elizabeth war bei der Kirchentür stehengeblieben. Mr. Macgregor, welch glücklicher Zufall, schien sie dem Geistlichen vorzustellen. Sogleich gingen die beiden Männer in Richtung von Mr. Macgregors Haus
    weiter, wo der Geistliche die Nacht verbringen sollte, und Elizabeth folgte den anderen, dreiß ig Meter hinter ihnen. Flory lief ihr nach und holte sie kurz vor dem Clubtor ein.
    »Elizabeth!«
    Sie sah sich um, erblickte ihn, erbleichte, und wäre ohne ein Wort weitergeeilt. Aber seine Besorgnis war zu groß, und er packte sie am Handgelenk.
    »Elizabeth! Ich muß - ich muß mit Ihnen reden!«
    »Bitte lassen Sie mich los!«
    Sie begannen zu ringen und hörten dann abrupt auf. Zwei der Karenen, die aus der Kirche herausgekommen waren, standen
    fünfzig Meter entfernt und starrten sie durch das Halbdunkel mit großem Interesse an. Flory begann mit leiserer Stimme:
    »Elizabeth, ich weiß, ich habe kein Recht, Sie so aufzuhalten.
    Aber ich muß mit Ihnen reden, ich muß! Bitte hören Sie sich an, was ich zu sagen habe. Bitte rennen Sie nicht vor mir davon!«
    »Was tun Sie? Warum halten Sie meinen Arm fest? Lassen
    Sie mich sofort los!«
    »Ich lasse Sie gleich los - da, sehen Sie! Aber hören Sie mir doch zu, bitte! Beantworten Sie mir
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