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Tage in Burma

Tage in Burma

Titel: Tage in Burma
Autoren: George Orwell
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blassen Gesicht, der einen Kneifer trug, stand auf den Stufen der Kirche in seiner Soutane und seinem Chorrock, die er in Mr. Macgregors Haus angezogen hatte. Er lächelte in einer liebenswürdigen, aber ziemlich hilflosen Art den vier rosawangigen karenischen Christen zu, die an ihn herangetreten waren, um sich vorzustellen, denn er sprach kein Wort ihrer Sprache und sie keines von seiner. Da war ein weiterer
    orientalischer Christ, ein trauriger dunkler Inder unbestimmter Herkunft, der demütig im Hintergrund stand. Er wohnte den
    Gottesdiensten immer bei, aber keiner wußte, wer er war oder warum er ein Christ war. Zweifellos war er gefangengenommen und in früher Kindheit von den Missionaren getauft worden, denn Inder, die als Erwachsene bekehrt werden, fallen fast immer ab.
    Flory konnte sehen, wie Elizabeth, lilafarben gekleidet, mit ihrer Tante und ihrem Onkel den Hügel hinunterkam. Er hatte sie an diesem Morgen im Club gesehen - sie hatten bloß eine Minute für sich allein gehabt, bevor die anderen hereinkamen.
    Er hatte ihr nur eine Frage gestellt.
    »Ist Verrall gegangen - für immer?«
    »Ja.«
    Es war nicht nötig gewesen, mehr zu sagen. Er hatte sie
    einfach an den Armen gefaßt und sie an sich gezogen. Sie kam bereitwillig, ja sogar gern - dort im hellen Tageslicht, das unbarmherzig gegenüber seinem entstellten Gesicht war. Einen Augenblick lang hatte sie sich fast wie ein Kind an ihn
    geklammert. Es war, als habe er sie vor etwas gerettet oder beschützt. Er hob ihr Gesicht, um sie zu küssen, und entdeckte mit Erstaunen, daß sie weinte. Sie hatten dann keine Zeit gehabt zu reden, nicht einmal, um zu sagen: »Willst du mich heiraten?«
    Das machte nichts, nach dem Gottesdienst würden sie genug
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    Zeit haben. Vielleicht würde der Padre sie bei seinem nächsten Besuch, schon in sechs Wochen, vermählen.
    Ellis und Westfield und der neue Militärpolizist nahten vom Club heran, wo sie noch schnell vor dem Gottesdienst ein paar gekippt hatten. Der Forstbeamte, der anstelle von Maxwell
    geschickt worden war, ein bläßlicher, großer Mann, der,
    abgesehen von zwei barthaarähnlichen Büscheln vor den Ohren völlig kahl war, folgte ihnen. Flory hatte gerade Zeit genug, Elizabeth »Guten Abend« zu wünschen, als sie eintraf. Als
    Mattu sah, daß alle anwesend waren, hörte er auf, die Glocke zu läuten, und der Geistliche führte sie hinein, gefolgt von Mr.
    Macgregor, mit seinem Topi an seinem Bauch, und den
    Lackersteens und den einheimischen Christen. Ellis zwickte Flory in den Ellbogen und flüsterte ihm benebelt ins Ohr:
    »Los, Antreten zur Schnief-Parade. Vorwärts, marsch!«
    Er und der Militärpolizist gingen hinter den anderen her, Arm in Arm, im Tanzschritt - und der Polizist wippte mit seinem fetten Hintern, eine Pwe-Tänzerin nachahmend, bis sie drinnen angelangt waren. Flory setzte sich in die gleiche Bank wie diese beiden, gegenüber Elizabeth, zu ihrer Rechten. Es war das erste Mal, daß er es je gewagt hatte, mit seinem Muttermal ihr
    zugewandt zu sitzen. »Schließ die Augen und zähle bis
    fünfundzwanzig«, flüsterte Ellis, als sie sich setzten, was dem Polizisten ein Kichern entlockte. Mrs. Lackersteen hatte bereits ihren Platz am Harmonium eingenommen, das nicht größer als ein Schreibtisch war. Mattu postierte sich bei der Tür und begann, den Punkah zu ziehen - er war so angeordnet, daß er nur über den vorderen Bankreihen flatterte, wo die Europäer saßen.
    Flo kam den Gang heraufgeschnüffelt, fand Florys Bank und
    ließ sich unter ihr nieder. Der Gottesdienst begann.
    Flory war nur zeitweise mit seinen Gedanken dabei. Er war
    sich dunkel bewußt, daß er aufstand und kniete und »Amen« zu endlosen Gebeten murmelte und daß Ellis ihn leise anstieß und hinter seinem Gesangbuch Blasphemien flüsterte. Aber er war
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    zu glücklich, um seine Gedanken zu sammeln. Die Hölle gab Eurydike frei. Das gelbe Licht strömte durch die offene Tür herein und vergoldete den breiten Rücken von Mr. Macgregors Seidenmantel. Elizabeth, auf der anderen Seite des schmalen Gangs, war Flory so nahe, daß er jedes Rascheln ihres Kleides hören und, wie ihm schien, die Wärme ihres Körpers spüren
    konnte, dennoch schaute er sie nicht ein einziges Mal an, aus Furcht, daß die anderen es bemerken könnten. Das Harmonium trillerte bronchitisch, während Mrs. Lackersteen sich abmühte, mit dem einzigen funktionierenden Pedal genügend Luft
    hineinzupumpen. Der Gesang war ein seltsames,
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