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Tage in Burma

Tage in Burma

Titel: Tage in Burma
Autoren: George Orwell
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von der Szene in der Kirche gehört.
    »Des Heiligen Abendessen ist fertig. Wird der Heilige jetzt speisen?«
    »Nein, noch nicht. Gib mir die Lampe.«
    Er nahm die Lampe, ging ins Schlafzimmer und schloß die
    Tür. Der abgestandene Geruch von Staub und Zigarettenrauch
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    kam ihm entgegen, und in dem weißen, unbeständigen Glanz der Lampe konnte er die moderigen Bücher und die Eidechsen auf der Wand sehe n. Er war also wieder hier - bei diesem alten, geheimen Leben - nach allem, zurück, wo er vorher gewesen war.
    War es nicht möglich, es zu ertragen? Er hatte es vorher auch ertragen. Es gab Linderungsmittel - Bücher, sein Garten,
    Alkohol, Arbeit, Huren, Jagen, Gespräche mit dem Doktor.
    Nein, es war nicht länger erträglich. Seit Elizabeths Ankunft war die Kraft, zu leiden und vor allem zu hoffen, die er in sich tot geglaubt hatte, zu neuem Leben erwacht. Die halbbequeme Lethargie von vorher war gebrochen. Und wenn er jetzt litt, dann erwartete ihn noch viel Schlimmeres. Bald würde jemand anders sie heiraten. Wie er es sich vorstellen konnte - den Augenblick, wo er die Nachricht hörte! - »Haben Sie gehört, daß die kleine Lackersteen endlich Feuer gefangen hat? Armer alter Soundso - wird zum Altar getrieben, Gott steh ihm bei«, usw.
    usw. Und die beiläufige Frage - »Ach, wirklich? Wann soll’s denn sein?« - mit starrem Gesicht, so als sei man gleichgültig.
    Und dann würde ihr Hochzeitstag herannahen, ihre
    Hochzeitsnacht - ach, nein, das nicht! Obszön, obszön. Behalte das im Auge. Obszön. Er zerrte seinen Uniform-Koffer aus
    Blech unter dem Bett hervor, nahm seine Selbstlade-Pistole heraus, schob einen Ladestreifen Patronen in das Magazin, und zog eine in den Verschluß.
    Ko S’la wurde in seinem Testament bedacht. Blieb noch Flo.
    Er legte seine Pistole auf den Tisch und ging hinaus. Flo spielte mit Ba Shin, Ko S’las jüngstem Sohn, im Schütze des
    Küchengebäudes, wo die Dienerschaft die Überreste eines
    Holzfeuers zurückgelassen hatte. Sie tanzte, die kleinen Zähne entblößt, um ihn herum, und tat so, als beiße sie ihn, während der winzige Junge, dessen Bauch rot in der Glut der noch
    glühenden Asche schien, schwach nach ihr schlug, lachend und doch halb ängstlich.
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    »Flo! Komm her, Flo!«
    Sie hörte ihn und kam unterwürfig und hielt dann jäh an der Schlafzimmertür. Sie schien erfaßt zu haben, daß etwas nicht stimmte. Sie bewegte sich etwas zurück und stand, ängstlich zu ihm hinaufblickend, da und wollte nicht das Schlafzimmer
    betreten.
    »Komm hier rein!«
    Sie wedelte mit dem Schwanz, rührte sich aber nicht.
    »Los, Flo! Gute alte Flo! Los!«
    Flo wurde plötzlich von Panik ergriffen. Sie winselte, ihr Schwanz senkte sich, und sie schreckte zurück. »Komm her,
    zum Teufel!« schrie er, und er nahm sie am Halsband,
    schleuderte sie ins Zimmer und schloß die Tür hinter ihr. Er ging zum Tisch, um die Pistole zu holen.
    »Nun komm hierher! Tu, was man dir sagt!«
    Sie duckte sich und winselte um Vergebung. Es schmerzte
    ihn, es zu hören. »Los, altes Mädel! Liebe alte Flo! Herrchen tut dir doch nichts. Komm her!« Sie kroch sehr langsam auf seine Füße zu, flach auf dem Bauch, winselnd, mit gesenktem Kopf, als fürchte sie, ihn anzuschauen. Als sie einen Meter von ihm entfernt war, schoß er, und sprengte ihren Schädel in Stücke.
    Ihr zerschmettertes Gehirn sah aus wie roter Samt. Würde er so aussehen? Das Herz, also, nicht den Kopf. Er konnte hören, wie die Diener aus ihren Quartieren rannten und schrien - sie mußten das Geräusch des Schusses gehört haben. Hastig riß er seine Jacke auf und drückte die Mündung der Pistole gegen sein Hemd. Eine winzige Eidechse, durchsichtig wie ein Wesen aus Gelatine, verfolgte einen weißen Käfer an der Tischkante
    entlang. Flory drückte mit seinem Daumen ab.
    Als Ko S’la ins Zimmer stürzte, sah er einen Moment lang
    nichts als den Leichnam des Hundes. Dann sah er die Füße
    seines Herrn, die Fersen nach oben, hinter dem Bett
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    hervorragen. Er brüllte den anderen zu, die Kinder nicht ins Zimmer hereinzulassen, und alle drängten mit Schreien vom
    Eingang zurück. Ko S’la fiel hinter Florys Körper auf die Knie, im gleichen Augenblick, als Ba Pe durch die Veranda gerannt kam.
    »Hat er sich erschossen?«
    »Ich glaube, ja. Dreh ihn auf den Rücken. Oh, schau dir das an! Lauf und hol den indischen Arzt! Lauf um dein Leben!«
    Da war ein sauberes Loch, nicht größer als das von einem
    Bleistift
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