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Gegenschatz

Gegenschatz

Titel: Gegenschatz
Autoren: Leah Moorfeld
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Romeo
    An der Decke meines Schlafzimmers tanzen die Schatten der Äste im Licht der Straßenlaterne. Alleine der Gedanke an die Birke vorm Haus bringt mich zum Niesen. Verfluchter Heuschnupfen! Ich greife nach dem Stapel Taschentücher neben meinem Bett, putze mir die Nase und stopfe das gebrauchte Tuch zu den anderen in den Eimer. Dann ist da wieder dieses Geräusch, das mich wach hält! Wütend schnaube ich durch die verstopfte Nase. Das Auflachen einer Frau dringt durch die Wand zur Nachbarwohnung. Jemand stöhnt laut auf und dann höre ich das Quietschen der Metallfedern eines antiken Bettrostes. Dieses mal stöhnen zwei Personen. Warum, verflucht noch mal, habe ich die Wohnung bei der Besichtigung nicht auf Hellhörigkeit überprüft? Ich hatte mich auf Anhieb in die Wohnung verliebt und hielt sie für ein absolutes Schnäppchen, denn ich ließ mich blenden von dem sanierten Altbau mit seinen hohen Decken, den großen hellen Fenstern, dem neu gelegten Parkettboden und dem gemütlichen Erker. Natürlich hatte mich der Makler nicht darauf hingewiesen, dass mein Nachbar nächtliche Sexorgien abhält und die Innenwände lediglich als Sichtschutz fungieren. Zudem bin ich offensichtlich die einzige der vier Parteien, die dies zu stören scheint, denn mit der älteren Dame unter mir kann man sich trotz Hörgerät nur schreiend unterhalten und auch dann ist es fraglich, ob sie den Sinn meiner Sätze versteht. Die andere Wohnung im Erdgeschoss bewohnt eine Stewardess, die die meiste Zeit damit verbringt, um die Welt zu reisen. Außerdem hege ich den Verdacht, dass auch sie gerne mal meinem selbstverliebten Nachbarn nächtliches Vergnügen bereitet. Der Wind fährt durch die Zweige des Baumes vor meinem Fenster und das Schattenspiel an der Decke wirbelt wild durcheinander. Wieder kribbelt es in meiner Nase. Weshalb wirkt dieses blöde Antiallergikum heute Nacht nicht? Angeblich soll es auch noch müde machen, davon merke ich aber nichts. Noch immer fesselt das Stöhnen und Quietschen aus der Nebenwohnung meine Aufmerksamkeit. Erfahrungsgemäß muss ich es noch mindestens eine halbe Stunde ertragen, oft auch noch länger. Ich drücke mir die Ecken des Kissens auf die Ohren, so dass ich meinen eigenen Atem wie ein rauschendes Echo in meinem Kopf wahrnehme. Doch die Geräusche von außen sind stärker. Jetzt folgen auch noch Schreie. Mit einem Satz springe ich aus dem Bett. In der Dunkelheit halte ich Ausschau nach einem harten Gegenstand und bleibe an meinem dicken Wälzer über Mikrobiologie hängen. Ich schnappe mir das Buch und hämmere damit gegen die Wand. Für eine Sekunde herrscht Ruhe, dann höre ich ein weibliches Lachen und das Quietschen und Stöhnen setzt sich mit verstärkter Intensität fort. Schreie der Erregung erfüllen den Raum. Ich bin mir sicher, dass die beiden nun mit voller Absicht solchen Krach veranstalten. Wütend werfe ich mir den Bademantel über und stapfe in Hausschuhen zur Wohnungstür. Ich reiße sie auf und knipse das Licht im Hausflur an. An der Tür zu meinem Nachbarn drücke ich den Klingelknopf über dem ein Messingschild mit der Aufschrift «Romeo» prangt. Dieser eingebildete, bornierte Idiot nennt sich «Romeo», dabei weiß ich vom Briefkastenschild, dass sein bürgerlicher Name «Marc Rossmann» lautet. Hinter der Tür höre ich laute Musik, aber keine Reaktion auf mein Läuten. Ich klingle erneut Sturm und bollere dann wütend gegen die Tür, als diese plötzlich auffliegt, ich nach vorne falle und meine geballte Faust eine nackte Brust trifft. Der Mann, der nur in Shorts vor mir steht und mich belustigt angrinst, ist mein Nachbar. Ich ziehe meine Hand erschrocken zurück und werfe ihm den finstersten Blick zu, den mein viel zu nettes Gesicht hergibt. Die Musik innen wird plötzlich leiser und ich höre eine Frauenstimme:
    «Hey, Romeo, wer is’n da?»
    «Nur die Süße von nebenan, Baby! Bin gleich wieder bei dir!», antwortet er, als er sich kurz von mir wegdreht, um mich dann wieder schelmisch anzugrinsen.
    Seine schulterlangen Haare wirbeln wild durcheinander. Ich weiß nicht, ob das Blauschwarz seine natürliche Haarfarbe ist, aber es harmoniert verboten gut mit dem Blaugrau seiner Augen. Mit dem Dreitagesbart wirkt er durch und durch männlich. Die Wut brodelt in mir, aber irgendwie finde ich nicht das richtige Ventil, sie entweichen zu lassen - zu grotesk kommt es mir vor, mich über laute Sexgeräusche zu beschweren.
    «Ich kann nicht schlafen!», schimpfe ich
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