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Tag vor einem Jahr

Titel: Tag vor einem Jahr
Autoren: C Geraghty
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meinem Blick und lächelte mir sanft zu. Ella und die Jungen jagten zwischen den Grabsteinen herum. Jane versuchte, ihnen mit streng hochgezogenen Augenbrauen Einhalt zu gebieten, aber sie schenkten dem keine Beachtung.
    Meine Mutter und meine Großmutter standen dicht zusammen, und als meine Mutter den Kopf hob, war ihr Gesicht nass von Tränen, die sie nicht wegwischte. Ich ging auf sie zu.
    »Mam, es tut mir leid. Es tut mir so leid«, flüsterte ich.
    Sie sah mich an und lächelte durch die Tränen hindurch.
    »Das war mutig, Grace. Das, was du in der Kirche gemacht hast. Ich war stolz auf dich.«

    »Es tut mir leid, Mam«, sagte ich einmal mehr, meine Stimme war heiser vom Zurückdrängen der Tränen.
    »Ich weiß, Gracie.« Sie schüttelte den Kopf. »Mir tut es auch leid, Liebes.«
    Sie streckte die Hand nach mir aus. Ich nahm sie, und wir standen da, hielten uns an den Händen und weinten. Und dann lachten wir, als Mary die Gelegenheit nutzte, einen ihrer abartig lauten – aber nie stinkenden – Furze loszulassen, der die friedliche Atmosphäre des Friedhofs mit einem Dröhnen erfüllte. Sollte Mary über die ausgelassene Heiterkeit, die sie mit ihrem Pupsen ausgelöst hatte, gekränkt gewesen sein, zeigte sie es nicht. Stattdessen griff sie in ihre Tasche und zog eine Flasche Brandy und mehrere Pappbecher heraus, die sie – bedachte man ihr hohes Alter – äußerst flink an alle verteilte. Nachdem sie in jeden Becher einen Fingerbreit Brandy gefüllt hatte, hob sie ihren und wartete darauf, dass Ruhe einkehrte.
    »Ein Toast«, sagte sie mit gebieterischer Haltung.
    Wir warteten darauf, dass sie weitersprach. Ich merkte, dass Mam beunruhigt war und sich fragte, was Mary wohl sagen würde. Ihre Finger schlangen sich um meine Hand, und ich verstärkte den Druck, damit sie wusste, dass ich verstand.
    »Auf Patrick«, sagte Granny schließlich. »Möge er in Frieden ruhen.«
    Darauf tranken wir alle, und Granny schüttete den Rest der Brandyflasche auf das Grab. Kein Wunder, dass der Rosenbusch so gut gedieh.
    Der Gang vom Friedhof war so viel leichter als der zum Friedhof. Zunächst einmal ging es bergab, was immer gut ist.
    Die warme Brise trocknete meine Tränen, Jane umarmte mich, und Ella sagte mir, dass sie, wenn sie erwachsen
wäre, so sein wollte wie ich. An ihrem Auto holte ich Caroline ein.
    »Caroline, ich …«
    »Warte, Grace.« Caroline schnitt mir das Wort ab. Bevor sie weitersprach, fixierte sie mich mit einem ihrer Blicke. »Sag mir nur eins. Liebst du ihn?«
    »Himmel, Caroline, ich kann nicht einfach …«
    »Beantworte mir nur die Frage, Grace. Du kannst mit Ja oder Nein antworten.« Caroline wartete und sah mir in die Augen. Ich holte tief Luft.
    »Ja«, sagte ich.
    »Gut«, sagte sie, drehte sich um und stieg in ihr Auto.
    »Was meinst du damit?«, fragte ich.
    »Nun, mir wäre der Gedanke verhasst gewesen, dass du es nur getan hast, weil du ihn nett findest. Oder um Shane zurückzubekommen.«
    »Nein, nein, Caroline. Ich liebe ihn wirklich, und ich glaube, dass er …« Hier brach ich ab und biss mir auf die Lippen.
    »Sprich weiter«, sagte Caroline.
    »Ich glaube, er liebt mich.«
    »Ich glaube auch, dass er das tut.«
    »Warum?«
    »Weil es schwer ist, dich nicht zu lieben, Grace.«
    »Wirklich?«
    »Wirklich. Und jetzt fort mit dir. Einen Tag lang war ich selbstlos und verständnisvoll, aber jetzt habe ich genug davon, besten Dank. Wir sehen uns später in der Wohnung.« Sie fuhr los, ohne sich umzudrehen. Ich stand eine ganze Weile da, beobachtete, wie sie verschwand, und zum ersten Mal seit langer Zeit spürte ich etwas in mir, das sich gut anfühlte, und ich fragte mich, was das sein mochte. Dann wusste ich es plötzlich und lächelte. Es war Hoffnung.

    In meiner Tasche piepste mein Handy, und ich tastete danach. Es war eine SMS. Von Bernard.
     
    Würde dich sehr gern sehen. Hast du Zeit?
     
    Bin auf dem Weg, schrieb ich zurück.
     
    Und das war ich.

Epilog
    März 2006
    Richard und Clare sind nun seit fast einem Jahr verheiratet und so glücklich wie eh und je. Clares Bauch ist so dick wie ein Basketball, aber das ist in Ordnung, denn sie kann jeden Augenblick Richard den Zweiten zur Welt bringen. Sie wissen, dass es ein Junge wird, und haben das Kinderzimmer in Blau und Weiß gehalten. Es sieht ein bisschen aus wie ein Nadelstreifenanzug. Genau genommen sieht es aus wie ein Empfangskomitee von Richards Firma. Clare wiegt mehr als ich, und auch wenn ich nicht schwanger bin,
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