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Tag vor einem Jahr

Titel: Tag vor einem Jahr
Autoren: C Geraghty
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Flasche Baileys, die schon ein Jahr abgelaufen war und die ich trotzdem trank.
    Wie fast alle schlechten Ideen schien es anfangs eine gute Idee zu sein. Jetzt tat es weh, die Augen zu öffnen, und ich wusste nicht, wo ich mich befand. Ich nahm an, dass ich in einer Wohnung war.
    Über und unter mir konnte ich Stimmen vernehmen, obwohl das auch an dem Kater liegen konnte, der in meinem Kopf dröhnte. Ich lag mit dem Gesicht nach unten auf einem Bett, das ich nicht kannte, und zwang mich, meine Augen zu öffnen.
    Der Spur von Kleidern auf dem Boden nach zu urteilen, die sich von der Tür zum Bett zog, war es durchaus möglich, dass ich nackt war. Ich schirmte meine Augen vor dem grellen Tageslicht ab und ließ sie Zentimeter für Zentimeter über den Boden wandern:
    Schwarze Wildlederbluse mit silbernen Mäandern am unteren Saum: Ok.
    Heißgeliebtes schwarzes – ziemlich durchsichtiges – Leinentop: Ok.
    Schwarze Lederjacke: Ok.
    Von da aus ging es allerdings ziemlich bergab …
    Abgetragener, ehemals schwarzer BH mit großen, breiten Trägern und genug Stoff für zehn normal große BHs und vielleicht auch noch für ein paar Unterhosen: Ok.
    Und ja, da lag die spüllappen-graue, einst weiße Unterhose, die ich mir für meine Periode und Pilates vorbehielt, ausgebreitet über der Nachttischlampe. Die Lampe war eingeschaltet, und das Licht sickerte durch den fadenscheinigen Zwickel. Ich steckte mitten in einem Wäschenotstand, ausgelöst durch Tage der Nachlässigkeit, und gestern Morgen war die Ausbeute mager gewesen.
    Nicht einmal der Anblick meiner wunderschönen kniehohen Stiefel mit Absätzen wie Stricknadeln konnte mich trösten. Einer meiner halterlosen Strümpfe hatte sich an einem der Absätze aufgespießt, eine Laufmasche zog sich an der Seite hinunter und endete an einem klaffenden Loch, wo sonst die große Zehe Platz hatte.
    Ich vergrub mein Gesicht im Kissen und versuchte, nicht an Shane zu denken.
    Ein Jahr, neun Monate, drei Wochen und sechs Tage – morgen vier Wochen. Was hatte ich mir dabei gedacht? Ich hatte keine Ahnung, was in einer solchen Situation zu tun war. Um mich zu beruhigen, atmete ich, wie ich es in Pilates gelernt hatte: Ich zog meinen Bauch so fest wie nur irgend möglich ein, bis mir die Luft ausging und ich den Bauch wieder hervorquellen lassen musste.
    Ein Ächzen, gefolgt von einer Reihe Grunzlaute, brachte mich wieder in meine gegenwärtige Lage zurück. Ich hob meinen Kopf vom Kissen und riskierte einen Blick auf die andere Betthälfte.
    Der Schock kam einem Eimer kalten Wassers gleich. Es war der neue Typ aus der EDV-Abteilung. Der, den Laura »den König aller Computernerds« nannte. Der, den Norman
wegen seines entsetzlichen Kleidergeschmacks als den Anti-Versace bezeichnete. Selbst Ethan hatte abfällig gekichert. Einzig Jennifer hatte sich geweigert, einen Kommentar abzugeben, schließlich war sie die PA (persönliche Assistentin) des GF (Geschäftsführers) und daher »in allen Angelegenheiten von äußerster Wichtigkeit sowie anderweitigen Fragen zur Verschwiegenheit verpflichtet«. Auch ich hatte mich nicht zu ihm geäußert – obwohl es keine Weigerung im eigentlichen Sinne war, es ist nur so, dass ich das Auftauchen von Single-Männern über zwanzig im Büro einfach nicht mehr so spannend finde wie früher. Ich nehme an, wegen Shane. Und allem anderen.
    Ich hatte Bernard noch gar keine Beachtung geschenkt – bis jetzt.
    Bernard O’Malley aus Athlone oder Tullamore oder Mullingar oder sonst woher aus den Midlands. Er hatte vor ein paar Monaten bei uns angefangen. Sein Eintritt in die Firma hatte im Büro für ziemliche Aufregung gesorgt; andererseits war das bei der Anlieferung des Wasserspenders auch der Fall gewesen. Ebenso bei der Kaffeemaschine. Selbst die monatliche Bestellung des Bürobedarfs sorgt bei uns für Aufregung, insbesondere wenn wir mit der Bestellung von leuchtend pinkfarbenen Büroklammern durchkommen, die teurer sind als unsere nullachtfünfzehn metallenen. Alles ist recht, um uns von der Tatsache abzulenken, dass wir in einer Versicherungsgesellschaft arbeiten. Nicht freiwillig natürlich. Das Versicherungswesen scheint eine Branche zu sein, in die die Leute irgendwie hineingeraten, ohne es jemals beabsichtigt zu haben. Da kann man fragen, wen man will.
    Bis zur gestrigen Nacht hatte ich mit Bernard nur ein einziges Mal geredet. Die Unterhaltung war in etwa so verlaufen:

    »Äh, mein Laptop scheint nicht richtig zu funktionieren.«
    »Ja, die
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