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Tag vor einem Jahr

Titel: Tag vor einem Jahr
Autoren: C Geraghty
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Erektion gegen den dünnen Stoff presste und die Rosenranken robust und prächtig gewachsen aussehen ließ.
    Das Schweigen, das folgte, hielt lange an. Bernard brach es, indem er nach seiner Brille auf dem Nachttisch griff – die dort allerdings nicht lag. Er tastete mit den Fingern das Nachtkästchen ab, seine Hand tänzelte über die hölzerne Oberfläche und an einem Träger meines abgelegten Büstenhalters entlang. Seine Finger glitten auf eine Weise über den Hügel eines der beiden Körbchen, die mir Unbehagen bereitete. Offensichtlich konnte er ohne seine Brille überhaupt nichts sehen. Ich krallte meine Finger um einen Träger und riss ihn von ihm weg. Der Verschluss knallte mir schmerzhaft gegen die Wange.
    »Entschuldige, Grace. Ich muss unbedingt meine Brille finden. Kannst du sie sehen?« Seine Stimme klang drängend, die Frage war an den Bereich direkt über meinem Kopf gerichtet.
    Schließlich fand ich sie, ordentlich zusammengelegt auf einer Glasablage im angrenzenden Badezimmer. Er musste sie abgenommen haben, bevor wir zu Bett gingen. Das erklärte vielleicht die bedächtige Art, mit der sich gestern Nacht seine Hände über meinen Körper bewegt hatten – er war ja quasi blind gewesen. Der Gedanke an diese Hände auf meinem Körper ließ mich erzittern.
    Wie ein aufklappbares Bild in einem Märchenbuch erschien Shanes Gesicht vor meinem geistigen Auge, und ich schrak vor dem Anblick zurück.
    »Frierst du?«, fragte Bernard. Seine Besorgnis löste ein schlechtes Gewissen in mir aus.

    »Nein.« Ich schob ihm seine Brille zu. Er tastete danach und streifte dabei mit seiner Hand meine Fingerspitzen. Seine Haut war weich und warm.
    Mit seiner Brille im Gesicht sah er wieder mehr aus wie er selbst. Genau genommen sah er besser aus als sonst. So ohne Kleider am Leib, meine ich. Herrgott, wo kam dieser Gedanke nun wieder her? Ich musste weg von hier und so tun, als wäre nichts geschehen. In der Arbeit würden sie mich am Montag lynchen, sollte jemand von alldem hier Wind bekommen, nicht zuletzt wegen Shane. Alle fanden Shane toll. Na ja, die Frauen jedenfalls.
    Bernard sah mich durch die kleinen Linsen an, als hätte er mich gerade jetzt erst bemerkt. Ich fühlte mich so deplatziert wie ein himmelhoher Buddha in einer katholischen Messe. Es gab sonst keine Sitzgelegenheit, also ließ ich mich auf der Bettkante nieder.
    »Stört es dich, wenn ich rauche?«, wollte er wissen.
    »Gott, nein, überhaupt nicht.« In der Intimität des Schlafzimmers klang mein Lachen zu herzhaft. Und dann erinnerte ich mich an etwas.
    »Du hast letzte Nacht nicht geraucht, oder?«
    »Nein, ich rauche nur frühmorgens«, sagte er, als wäre das ganz normal.
    Langsam zog er an der Zigarette, die er wie ein alter Mann zwischen Daumen und Zeigefinger hielt. Er schloss die Augen, während er inhalierte, und blies dann enorme Rauchschwaden aus Mund und Nase.
    Ich wusste nicht, ob ich angesichts seiner intensiven Konzentration auf das Rauchen beleidigt oder erleichtert sein sollte. Mir fiel nicht das Geringste ein, was ich hätte sagen können. Er streckte seinen langen Arm über die Breite des Bettes, wobei ich unwillkürlich an Inspector Gadget denken musste, und gab mir die Zigarette. Ich nahm
sie ihm aus den Fingern, wobei ich versuchte, ihn nicht zu berühren. Er sollte keinen falschen Eindruck von mir bekommen. Allerdings war es dafür vielleicht etwas zu spät. Das Rauchen rettete uns vor der Last einer Unterhaltung. Einer von uns rauchte, während der andere darauf wartete, dass ihm die Zigarette weitergereicht wurde. Ich habe keine Ahnung, warum nicht jeder eine eigene rauchte. Doch das Ritual der miteinander geteilten Zigarette beruhigte mich. Als ich die Kippe in dem Aschenbecher, der auf dem Nachttisch stand, ausdrückte, tat ich es mit einem gewissen Nachdruck.
    Das Schweigen im Raum verdichtete sich zu einem Dröhnen.
    »Bernard«, begann ich, ohne im Mindesten zu wissen, was ich danach sagen sollte. Er saß auf dem Bett, vollkommen regungslos. Ohne die Zigarette waren meine Hände unruhig, mein Atem im Zimmer laut hörbar.
    »Grace«, sagte er schließlich. Wenigstens kannten wir uns gegenseitig beim Namen. Damit tröstete ich mich.
    »So etwas kommt bei mir nicht dauernd vor, weißt du, nur falls du das denken solltest«, fuhr er fort.
    »Was kommt bei dir nicht dauernd vor?«
    Mit einem Mal wirkte er schüchtern.
    »So eine … du weißt schon, so eine Art von Situation.« (Er betonte seine Worte auf eine Weise,
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