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Sünden der Faulheit, Die

Sünden der Faulheit, Die

Titel: Sünden der Faulheit, Die
Autoren: Ulrich Peltzer
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Mertens mit dem Ungarn durch das Chinesenviertel am Nieuwmarkt gestreift, vorbei an rot beleuchteten Schaufenstern, in denen sich die Nutten ausstellten, von Bar zu Bar, bis sie dann in einem Saunaclub gelandet waren, in den ihn Belasc, der Sekretär Steenbergens, eingeführt hatte. Mertens besaß eine Clubkarte, ohne die man nicht hereingelassen wurde. Dr. Belösy, der Ungar, war schnell im Hintergrund verschwunden. Mertens hatte an der Bar des Clubs ordentlich getrunken, und von dem Kokain, das ihm eine Barfrau auf Kosten des Hauses auf einem Make-up-Spiegel angeboten hatte, war er nicht nüchterner geworden. Seine Erinnerung setzte an dem Punkt aus, als er sich an der Garderobe seinen Mantel geben ließ und auf die Straße trat. Er wußte nicht mehr, ob Dr. Belösy noch bei ihm war oder nicht und ob er sofort ins Hotel gefahren war. Jedenfalls war er in seinem Hotelbett aufgewacht, und das sprach für sich.
    Mertens rauchte die Zigarette zu Ende, nippte am Espresso und beendete seine Rasur. Dann zog er ein frisches weißes Hemd und einen schwarzen Anzug mit schmalen Revers an, trat vor den Spiegel und knotete eine weinrote Krawatte. Er sah wieder ganz passabel aus, fand er, auch wenn es noch einige Stunden dauern würde, bis die Spuren der Nacht aus seinem Gesicht verschwunden wären.
    Er packte seine Sachen und ging, einen gefütterten Trenchcoat um die Schultern gelegt. Am Lift mußte er warten. Neben ihm standen rauchend zwei Amerikaner, die ihm gestern morgen während des Frühstücks aufgefallen waren, weil sie abwechselnd in einem Aktenordner lasen, den sie mit kurzen Kommentaren über den Tisch reichten. Jetzt trug ihn der Ältere unter dem Arm.
    An der Rezeption begrüßte ihn Bloemendaal mit Handschlag. »Sie verlassen uns schon?«
    »Die Arbeit wartet. Ist die Rechnung fertig?«
    »Selbstverständlich.«
    Während Wilhelm Mertens zahlte, bat er den Portier, ihm einen Platz in der Nachtmaschine nach Berlin zu reservieren und den Koffer aufzubewahren, er würde ihn im Laufe des Nachmittags abholen. Das Trinkgeld entsprach Bloemendaals Erwartungen; Mertens wußte noch aus anderen Zeiten, daß der Portier der wichtigste Verbündete in einem Hotel war.
    Die Amerikaner saßen bei den Lorbeerbäumen, die der kleinste der Pagen Blatt für Blatt abstaubte. Als Mertens an ihnen vorbeiging, sah er in dem Aktenordner die Protokolle von Schachpartien, und ihm fiel ein, irgendwo auf einem Plakat in der Halle »Chess championship – Dutch open« gelesen zu haben.
    Kees, von Bloemendaal mit dieser bevorzugten Arbeit beauftragt, öffnete Mertens eine Hälfte der gläsernen Eingangstüre, auf der milchig »Middelburg« eingeschliffen war.
     
    Unter einem verwaschenen blauen Himmel zogen Wolkenfetzen, wuchsen zusammen und faserten wieder auseinander. Es war zu warm für Januar, und Mertens brauchte seinen Mantel nicht zu schließen.
    Er bog von der Straße, in der das Hotel lag, in die Keizersgracht. Ein leichter Wind kräuselte die Oberfläche des schmutzig grünen Wassers. Zwischen die Kontore hatten die Kaufleute vor ein paar hundert Jahren ihre prächtigen Häuser gesetzt. Riesige Fenster in der ersten Etage und wuchtige schnörkellose Giebel, aus denen Galgen ragten, an denen man mit Flaschenzügen die Waren auf die Speicher gezogen hatte. Wilhelm Mertens liebte diese Grachten und ihre Häuser, obwohl er sich immer noch wunderte, daß es mit Rechtschaffenheit und Disziplin möglich sein sollte, solche Reichtümer anzuhäufen.
    Er war Anfang Vierzig, nicht verheiratet und fühlte sich nur in großen Städten wohl. Er hatte den Ansatz eines Bauches, und in zehn Jahren würde er sich nicht mehr darum kümmern, denn seine Eitelkeit nahm langsam ab – je deutlicher ihm wurde, daß man für Geld alles bekam. Das war zwar eine Binsenweisheit, aber Mertens hatte sich früher in Stunden der Schwäche eingeredet, es gäbe Menschen, die eine Sache um ihrer selbst willen tun, ohne nützliche Idioten zu sein. Das war lange her. Am liebsten war ihm die Gesellschaft von Frauen; Männer, wie der Ungar gestern abend, ödeten ihn an.
    Als er die Vijzelstraat überquerte, kam ihm ein Polizeiboot entgegen, dem einige Möwen folgten.
    Steenbergen hatte Dr. Belösy durch die Vermittlung eines norddeutschen Großhändlers kennengelernt, der seine Geschäfte über Belgrad abwickelte. Er war für die Anbahnung des Kontakts äußerst dankbar gewesen, da seine alten Partner in Basel ihren Laden dichtgemacht und sich abgesetzt
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