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Sünden der Faulheit, Die

Sünden der Faulheit, Die

Titel: Sünden der Faulheit, Die
Autoren: Ulrich Peltzer
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Lacan gab dem Jungen seine letzten achtzig Pfennig und lief mit hochgeschlagenem Jackenkragen zum Portal des Senders. In einem Traum war er aus der Drehtüre nicht herausgekommen und bis zum Erwachen im Kreis gerannt. Er sprang in den Paternoster, der ihn in den dritten Stock zu den Redaktionsräumen des Musikprogramms brachte. Das geschäftige Treiben in den Gängen, in denen sich ein hartnäckiger Sagrotangeruch hielt, war bedrückend. Lacan grüßte nachlässig links und rechts. Er hatte gehofft, in dem großen Büro keinen zu treffen, aber es war eine Art Party im Gange, überall standen Plastikbecher mit Sekt, und aus einem Kassettengerät lärmte Musik.
    Lacan blieb einen Augenblick in der offenen Türe stehen. Auf einer Sessellehne saß Thomas Flegel, umgeben von einer Gruppe kichernder Zuhörer. Flegel betreute das Wunschkonzert für Senioren. Daß er an einem Musikverlag beteiligt war, in dem jede dritte Nummer seiner Sendung erschien, wußten nur Eingeweihte, aber wen interessierten schon solche Nebengeschäfte? Flegel war so alt wie Lacan, und über seinem Bauch spannte sich ein zu enges Lacoste-Hemd. Auf einem Schreibtisch saß ein angetrunkener Toningenieur und las im ›Playboy‹. Er hatte Schwierigkeiten, das Faltblatt in der Mitte des Heftes zusammenzulegen. Kopfschüttelnd riß er es heraus und knüllte es in seine Jackentasche.
    Lacan trat hinzu, der Kreis öffnete sich, und er sah in Flegels verschwitztes rundes Gesicht. Flegel stand mit einem Becher Sekt auf, er legte einen Arm um Bernhards Schulter.
    »Willste ’nen Schluck?« Lacan lehnte dankend ab, doch der Fachmann für volkstümliche Musik zog ihn an sich: »Lach doch mal, heute wird gefeiert.«
    Jemand drückte ihm eine Flasche in die Hand, Lacan trank einen Schluck, um sich den Mund auszuspülen.
    »Kennt ihr den? Da höhlt einer Neger aus und verkauft sie als Tauchanzüge.«
    Alle kicherten in Erwartung der Pointe. Flegel fuhr fort, als sei er in einer Burenbar in Swakopmund.
    »Also, der höhlt die aus. Hat die Produktion aber eingestellt. Der Schnorchel saß anner falschen Stelle!«
    Die Kollegen lachten. »Oho, oho, laß das nur niemanden hören«, und der Toningenieur wiederholte mit zusammengekniffenen Augen: »Der Schnorchel, hihi, anner falschenStelle!«
    Lacan wand sich aus Flegels Arm.
    »Ein toller Witz, Thomas, wirklich. Du solltest es mal als Alleinunterhalter versuchen.«
    »Man lebt nur einmal.« Flegel hob seinen Becher. »Man muß die Feste feiern, wie sie fallen!«
    Der Toningenieur fragte aus dem Hintergrund, ob es noch etwas zu trinken gebe, er verdurste. Jetzt erst sah Lacan Irene Rabbia an ihrem Schreibtisch in einem Aktenordner blättern.
     
    »Geht das schon länger so?«
    »Seit heute vormittag.«
    »Na danke. Wie geht’s dem Kleinen?«
    »Wie immer.«
    Sie sahen sich einige Sekunden in die Augen, bis Irene sagte: »Leschek will mal mit dir reden.«
    »Arbeit?«
    »Genau. Demnächst ist ein Rockabilly-Festival, und du sollst vorher was machen, Clubs abklappern und so.«
    »O nein!«
    »O doch!«
    »Ist er da?«
    »In seinem Büro.«
    Lacan richtete sich auf. »Geld.«
    »Eben.«
    »Ich geh mal rüber.«
     
    Leschek saß hinter einem mit Broschüren, Zeitungen und Papieren beladenen Tisch. An den Wänden hingen in Wechselrahmen zeitgenössische Radierungen, in einer Ecke lief ein Fernseher ohne Ton, aus versteckten Lautsprechern kam Musik. Leschek sah von seiner Arbeit auf. Lacan nahm auf dem Drehstuhl vor dem Tisch Platz und fuhr sich verlegen durch die Haare. Leschek lächelte ihn an.
    »Bunter Abend wieder gestern, was?«
    »Maske in Blau.«
    »Du säufst zuviel, mein Lieber!«
    »Was ich abends saufe, muß ich nicht tagsüber trinken.« Lacan wies mit dem Kopf zum Nebenzimmer. »Wenn der Flegel trinkt, wird er unerträglich.«
    »Wem sagst du das?«
    »Du mußt aufpassen, der spekuliert auf deinen Stuhl!«
    »Da kann er spekulieren, bis ihm die Eier abfallen!«
    »Ich habe übrigens deine Sendung über Steve Reich gehört.«
    »Und?« fragte Leschek neugierig.
    »Gar nicht schlecht, obwohl mir die Musik nicht besonders gefällt.«
    »Da muß man zuhören.«
    »Kann ich nicht gut.«
    »Ich weiß«, grinste Leschek. »Wer nicht hören will, muß fühlen.«
    »Überschlag’ dich nicht. Hast du was für mich zu tun?«
    »Eine Sendung über Rockabilly in Berlin. In einem Monat ist in der Deutschlandhalle ein Rock ’n’ Roll-Festival, das von uns live übertragen wird. ’n Tag vorher eine halbe Stunde: 30
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