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Sünden der Faulheit, Die

Sünden der Faulheit, Die

Titel: Sünden der Faulheit, Die
Autoren: Ulrich Peltzer
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draußen kam. Alle nannten ihn Dschingis wegen seiner blonden Bartlocken, die rechts und links der Mundwinkel herunterhingen bis in den Hemdkragen. Dschingis strich über seinen Stoppelkopf.
    »Kannste zahlen?«
    »Für zehn Mark normal!«
    Der Tankwart zögerte einen Augenblick. Lacan kramte in seiner Hosentasche und holte das Kleingeld heraus.
    »Ick bin doch keen Spielautomat.«
    »Komm, Geld ist Geld.«
    »Mach ma die Kippe aus, is ’ne Tankstelle hier.«
    Lacan legte die Zigarette in den Autoaschenbecher. Nachdem Dschingis die Zapfpistole eingehängt hatte, gab Lacan ihm die abgezählten Münzen und wollte wieder einsteigen, als der Hüne ihn festhielt und sich zu ihm herabbeugte.
    »Eh Alter, dit jeht uns allen mal so.« Bernhard lächelte. »Und wennde ma wat fürt Auto brauchst, ick hab allet billich da.«
    »Ich werd’ dran denken, sicher.«
    Auf der Straße schaltete Lacan den Scheibenwischer ein, nasser Schnee fiel. Im Radio waren immer noch Nachrichten. So schlecht hatte der Tag wirklich nicht angefangen.
     
    Florence Blumenfeldt saß in einem blauen Kimono, auf dessen Rücken ein von Schilfgras bewachsenes Seeufer vor schneebedeckten Bergen gestickt war und den ihr Vater einmal von einer Reise nach Japan mitgebracht hatte, in ihrer Küche und trank eine Schale Milchkaffee.
    Vor ihr auf dem Tisch standen die Reste des Frühstücks: Toast, Hüttenkäse und Konfitüre in zueinander passenden Edelmetallschalen. Die schwarzen Küchenschränke und die Anrichte waren an den Kanten mit Chromschienen verkleidet, in denen sich das Licht einer hellen, tief über den Tisch gezogenen Neonröhre spiegelte.
    Florence Blumenfeldt war an diesem Morgen lange vor Bernhard Lacan aufgestanden, obwohl auch sie nicht genug geschlafen hatte.
    Sie haßte es, wach im Bett zu liegen und über Dinge nachzudenken, über die nachzudenken sie sich verboten hatte. Meist setzte sie sich dann an ihren Schreibtisch, rauchte, las in einem der Bücher, die auf dem Tisch und zu ihren Füßen lagen, und machte Notizen auf blauen Karteikarten, die sie in einen Kasten ordnete. Später hatte sie mit angezogenen Beinen auf dem Sofa in ihrem Wohnzimmer gesessen und sich gegen jede Gewohnheit ein Glas Likör eingeschenkt, an dem sie von Zeit zu Zeit nippte.
    Im Wohnzimmer brannte kein Licht, nur die Lampe des Schreibtisches warf einen schwachen Schein durch den Flur und zeichnete verschwimmende Schatten auf die Vorhänge. Draußen war es noch dunkel. Ein Auto nach dem anderen startete, doch Florence schien nichts zu hören. Sie hatte die Augen geschlossen und träumte und trank den süßen, klebrigen Likör. Eigentlich träumte sie nicht, sondern Erinnerungen an ihren Vater und das Haus in Hamburg, in dem sie ihre Kindheit verbracht hatte, fuhren ihr durch den Kopf. Als sie den Likör getrunken hatte, mußte sie der Versuchung widerstehen, noch ein Glas zu nehmen, zu angenehm war die Betäubung.
    Im Bad hatte sie einige Zeit vor dem Spiegel gestanden und mit den Fingerspitzen die gleichmäßigen Linien ihres Gesichts nachgezogen, ihr langes, dickes schwarzes Haar gekämmt und es mit einer Klammer aus Perlmutt hochgesteckt.
    Nun saß Florence Blumenfeldt rauchend in der Küche, trank Milchkaffee und blätterte gelangweilt in einem großformatigen Buch, das sie auf ihre Schenkel und vor die Tischkante stützte, als es klingelte. Aus dem Lautsprecher neben der Türe schnarrte verzerrt:
    »Lydia hier!«
    Florence drückte auf und ging ins Bad, um Wasser in die Wanne zu lassen. Als sie eine Emulsion mit der Hand verteilte, schlug die Türe zu, und eine helle Stimme rief: »Florence, wo steckst du?«
    In der Diele pellte sich Lydia Wenzel aus einem weiten blauen Cape und prüfte im Spiegel ihre Haare. Florence trat aus dem Bad.
    »Küßchen, meine Süße.« Lydia hielt Florence an den Händen und drehte sie ein wenig.
    »Was ist das für ein schönes Teil! Weißt du, Maja hat so was Ähnliches«, sie schnalzte leise mit der Zunge. »Aber kein Vergleich. Außerdem isse zu dick für Seide.«
    Wahrscheinlich wäre Lydia zu alt für Seide, der Kimono hätte aus ihr eine Puffmutter gemacht.
    Sie gingen ins Wohnzimmer. Florence zog die Vorhänge zurück.
    »Magst du einen Kaffee?«
    »Ne, hast du Sherry oder so was?«
    »Auf dem Tisch dort. Bedien’ dich. Warte, ich bringe dir ein Glas.«
    Lydia Wenzel besaß eine Galerie in der Nähe des Kudamms, die sich vor Jahren auf die Wilden spezialisiert hatte und astronomische Umsätze erzielte, seitdem der
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