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Sünden der Faulheit, Die

Sünden der Faulheit, Die

Titel: Sünden der Faulheit, Die
Autoren: Ulrich Peltzer
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 Jahre Rock ’n’ Roll in Berlin. Wär doch was für dich.«
    »Wo du genau weißt, wie ich Pferdeschwänze und Petticoats liebe.«
    »Komm, ich habe die Sendung extra für dich reserviert. Ist eine Arbeit von drei oder vier Tagen.«
    »Va bene, sollst du haben. Ich freu’ mich schon.«
    »Na siehste.«
    Leschek nestelte aus der Brusttasche seines Hemds eine Packung schwarzen Tabak und begann, sich eine Zigarette zu drehen. Lacan wippte nervös mit einem Knie und sah zum Fernsehmonitor, auf dem ein alter schwarzweißer Spielfilm lief. Leschek zündete sich die Zigarette an. Lacan beugte sich über den Tisch und wies auf einen Tabakskrümel in Lescheks Bart.
    »Bei deinem Gehalt könntest du langsam auf Aktive umsteigen.« Der Leiter der Musikredaktion ließ sich nicht reizen, sondern reichte Lacan den Tabak. Er trug einen unauffälligen beigefarbenen Anzug ohne Krawatte.
    »Ich habe noch was für dich. Zwei Stunden Musik raussuchen fürs Nachtprogramm.«
    »Jobs für die höher qualifizierten Mitarbeiter, wie?«
    »Schnelles Geld, deshalb bist du doch hier.«
    Lacan steckte die windschief gedrehte Zigarette in den Mund und nuschelte:
    »Übrigens Geld. Mmh, kann ich ’nen Vorschuß haben?«
    Abrupt sprang Leschek auf.
    »Mensch, Bernhard!« Er blickte ihn zornig an, und Lacan hob abwehrend die Hände.
    »Ist gut. War ja nur ’ne Frage.«
    »Du weißt ganz genau, warum nicht!« Er schaltete das Fernsehgerät aus. »Hast du wieder gezockt?«
    »Mit was denn?« Es hatte keinen Sinn, noch einmal zu fragen. Lacan stand auf.
    »Ich geh’ dann.«
    »Könntest du bis zum Wochenende die Musik zusammenstellen?«
    »Logo. Bis dann!«
    Leschek war ein umgänglicher Mensch, solange man die Beiträge termingerecht ablieferte. Sein Interesse galt seiner Frau und den vier halbwüchsigen Kindern, der einzig heilen Familie, die Lacan bisher kennengelernt hatte.
     
    Im Büro der Redaktion stützte Lacan den Kopf in die Hände und dachte voll Widerwillen an BVG -Schaffner, die mit fettigen Haaren darauf sparten, einmal das Grab von Elvis zu besuchen. Niemand beachtete ihn, bis Irene Rabbia zu ihm kam.
    »Sorgen?«
    Er zuckte mit den Schultern. »Geht so.«
    »Was machst du heute abend?« Sie setzte sich neben ihn auf die Schreibtischkante, nachdem sie einen Stapel Platten beiseite geschoben hatte.
    »Ich habe eine Verabredung.«
    »Wichtig?« fragte Irene.
    »Welche Verabredungen sind schon wichtig? Ein alter Freund ist mal wieder in Berlin.«
    »Leschek war ganz schön sauer auf dich.«
    »Wegen des Geldes?«
    »Weswegen sonst?«
    Lacan legte eine Hand auf ihr Bein und lächelte. Vorspringende Jochbeine und ein weicher großer weiblicher Mund beherrschten die Züge seines Gesichts, und wenn es auch bei ungünstiger Beleuchtung verlebt aussah, fühlten sich nicht wenige Frauen von ihm angezogen. Mütterliche Instinkte kamen vielleicht hinzu und sicher seine scheinbare Gleichgültigkeit. Irene, die alleine mit ihrem Sohn lebte, legte ihre Hand auf seine.
    »Ich würde dich gerne wieder treffen.« Sie drückte seine Hand. »Wenn es dein Terminkalender erlaubt.«
    »Mein Kalender«, Lacan tippte an seine Stirn, »erlaubt alles.«
    »Samstag?«
    »Wenn ich bis dahin wieder flüssig bin.«
    »Brauchst du Geld?«
    »Kannst du mir zwanzig Mark leihen?«
    Sie streckte den Oberkörper und holte zwei Scheine aus der Hosentasche. Einen gab sie Lacan.
    »Ich werde ihn todsicher anlegen.«
    Sie stand auf. »Tu, was du nicht lassen kannst.«
    »Samstag?«
    »Fühl’ dich nur nicht verpflichtet.«
    »Du bist blöd, Irene.«
    »Ich weiß!«
    »So war das doch nicht gemeint, denkst du denn …«
    »Unterschätz’ mich nicht«, unterbrach ihn Irene, küßte ihn auf die Wange und ging in ihre Ecke zurück.
    Die Stimmung unter den Kollegen näherte sich dem Höhepunkt. Der Toningenieur konnte Flegels Zoten nur noch mühsam folgen. Irene heftete Rechnungen in einen Ordner. Lacan beeilte sich, das Gebäude zu verlassen.
    Das Licht der Peitschenmasten und die Scheinwerfer der Autos blendeten ihn für einen Augenblick. Es schneite nicht mehr. Er versuchte, Atemkringel in die Dunkelheit zu pusten. Es war kurz vor halb fünf, Montag, der … Januar 198 …
     
    Die kleinen Seen und Wasserläufe im Rembrandtpark und der Kanal rings um den Erasmuspark waren längst wieder aufgetaut. Kurz vor Weihnachten hatte es gefroren, und die Kinder waren dort Schlittschuh gelaufen. Nach dem Jahreswechsel hatte das milde Klima des Golfstroms die Kinder wieder um
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