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Sünden der Faulheit, Die

Sünden der Faulheit, Die

Titel: Sünden der Faulheit, Die
Autoren: Ulrich Peltzer
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wollte dich nur warnen!«
     
    Es war etwas kühler geworden. Über dem Meer frischte der Wind auf. Vielleicht frören in diesem Winter doch noch einmal die Seen in den Parks zu.
    Wilhelm Mertens ging zum Amstelveld, wo ein paar Taxis warteten.
     
    Verzweifelt versuchte der Junge, den Rand des Trümmerkellers zu erreichen. Jedesmal, wenn er dachte, es zu schaffen, rutschte er wieder ein Stück den feuchten Lehm hinunter. Tränen verschmierten sein Gesicht. Ängstlich krallte er sich an den Hang. Der große Hund hatte sich unten auf die Hinterläufe gestellt und knurrte und bellte wütend; Sabber lief über seine Lefzen. Der Junge nahm alle Kraft zusammen und versuchte es ein letztes Mal. Er fand oben ein Büschel Gras und wollte sich hochziehen. Seine strampelnden Beine brachen kleine Stücke Erde aus der Wand, die auf den Hund prasselten, der zurücksprang und um so lauter kläffte. Der Junge spürte, wie sich das Gras aus der Erde löste. Er drohte, nach unten zu fallen, als eine Hand seinen Arm packte und ihn hochzog. Schluchzend schmiß der Junge mit den kurzen braunen Locken einen Stein nach dem Hund, der aufheulte und sich trollte. Durch einen Tränenschleier sah er den anderen, hinter dem seine Bande wartete.
    »Hör schon auf zu heulen, ist doch nichts passiert. Außerdem weiß doch jeder, daß die Bestie von Bergmann da unten ihren Auslauf hat.«
    Der Junge wischte die Tränen aus seinem Gesicht.
    »Ich wohne noch nicht so lange hier.«
    Der andere war einen Kopf größer und kräftig. Unter dem Arm trug er eine Weidenrute, in die er mit seinem Taschenmesser Muster geschnitzt hatte.
    »Der ist mit seiner Mutter über den Lebensmittelladen gezogen!« rief einer aus der Bande.
    »Wo haste denn früher gewohnt?« fragte der Anführer.
    »Im Schanzenviertel.«
    »Und warum wohnste jetzt hier?«
    Der Junge druckste, dann nahm er seinen Mut zusammen:
    »Mein Vater ist gestorben, und jetzt …«
    »Im Schanzenviertel verschwinden ’ne Menge Väter«, rief der Vorlaute und drängte zwischen den Jungen nach vorne. »Wahrscheinlich sitzt er.«
    Die dünne Weidenrute pfiff durch die Luft und klatschte auf die Beine des Aufwieglers. Ohne nachzudenken hatte Roland Hartmann zugeschlagen. Seit jenem Tag waren er und Bernhard Lacan Freunde.
     
    Das Café Oppenheimer lag im Erdgeschoß einer Gründerzeitvilla in der Kurfürstenstraße. Die Pächter hatten es im Stile eines alten Wiener Kaffeehauses eingerichtet. Unter großen Spiegelflächen reihten sich mit rotem Velours bezogene Sofas an den Wänden, ein Dutzend kleiner runder Marmortische verteilte sich in dem weiten, von Durchbrüchen gegliederten Raum. Aus Lautsprechern unter der Dekke drang leise »Music for airports« und minimalisierte die Gespräche. Das Publikum bestand in der Regel aus besseren Studenten, affektierten Kulturschaffenden und bärtigen Intellektuellen der zweiten Garnitur.
    An der Theke im Eingangsraum lehnten zwei dunkel geschminkte junge Schauspielerinnen, die in einigen Experimentalvideos reüssiert hatten, und flirteten mit dem portugiesischen Barmann. Die Kellner und Kellnerinnen trugen schwarze Kleider und Anzüge, ein paar hatten Pomade im Haar.
    Als Lacan den Saal betrat, lief ihm Raimund über den Weg. Sie verlangsamten ihre Schritte, und Raimund, der ein Tablett mit Geschirr balancierte, neigte seinen Kopf und raunte:
    »Brauchst du was?«
    Lacan lächelte fragend.
    »Vielleicht ’n Paar Schuhe aus Italien? Was hast du denn für ’ne Größe?«
    » 43 .«
    » 43 ist schlecht. In 42 hab ich noch was da. Schwarz, spitz, erstklassig verarbeitet, kein Engros-Mist.«
    Lacan sah an sich herab. »Ich glaube, ich brauche im Augenblick keine Schuhe.«
    »Leerkassetten?« Raimund ließ nicht locker. » TDK -Standard. Drei Mark das Stück, ab zehn gibt’s Rabatt!«
    »Sieht nicht so gut aus bei mir, du weißt schon.«
    Raimund wußte. Während er mit Schwung in die Küche bog, fragte er:
    »Einen Remy?«
    »Zwei!«
     
    Roland Hartmann erwartete seinen Freund an einem der runden Marmortische, hinter einer Säule, auf der Plakate klebten.
    Er war noch immer einen Kopf größer als Lacan. Auch wenn sich seit Jahren ein Doppelkinn abzeichnete, wirkte er wie jemand, mit dem man nicht leichtfertig Streit begann. Hartmann trug einen eleganten Anzug in einem Fischgrätenmuster. Schon vor fünfzehn Jahren, als er und Lacan loszogen, um zu kiffen und Mädchen aufzureißen, und auf ihren Reisen nach Spanien und in die Türkei hatte er penibel auf sein
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