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Südlich der Grenze, westlich der Sonne

Südlich der Grenze, westlich der Sonne

Titel: Südlich der Grenze, westlich der Sonne
Autoren: Haruki Murakami
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und wieder, wenn meine Eltern nicht zu Hause waren, lagen wir auf meinem Bett und schmusten. Das ergab sich ungefähr zweimal im Monat. Allerdings zog Izumi sich niemals aus. Man könne nie wissen, wann jemand nach Haus käme, sagte sie, und es wäre doch sehr unangenehm, nackt überrascht zu werden. In diesem Punkt war sie äußerst vorsichtig. Nicht aus Feigheit. Ich glaube, es widerstrebte ihrer Persönlichkeit, in eine peinliche Lage gedrängt zu werden.
    Also hielt ich sie immer völlig angezogen im Arm und fummelte, so gut es mir eben möglich war, unter ihrer Wäsche herum.
    »Nicht so ungeduldig«, sagte sie, wenn sie mir meine Frustration ansah. »Du musst warten, bis ich bereit bin. Bitte.«
    Ehrlich gesagt, so besonders eilig hatte ich es gar nicht. Es gab nur so vieles, was mich verunsicherte und enttäuschte. Natürlich hatte ich Izumi gern und war dankbar, dass sie meine Freundin war. Ohne sie wäre meine Teenagerzeit noch langweiliger und trister verlaufen. Sie war ein nettes, sympathisches Mädchen, das alle mochten. Aber man konnte nicht behaupten, dass wir gemeinsame Interessen hatten. Sie verstand weder die Bücher, die ich las, noch die Musik, die ich hörte. Über solche Dinge war zwischen uns kein Austausch möglich, und in dieser Hinsicht unterschied sich meine Beziehung zu Izumi völlig von der zu Shimamoto.
    Doch wenn ich neben ihr saß und ihre Hand berührte, stieg ganz von selbst eine natürliche Wärme in mir auf. Außerdem konnte ich mit ihr über Dinge sprechen, die ich niemand anderem hätte sagen können. Ich liebte es, ihre Augenlider und ihre Lippen zu küssen oder ihr Haar anzuheben und meinen Mund auf ihre kleinen Ohren zu drücken. Dabei musste sie immer kichern. Wenn ich jetzt an sie zurückdenke, habe ich einen ruhigen Sonntagmorgen vor Augen. Einen sonnigen Sonntag, der gerade erst begonnen hat. Einen Sonntag ohne Hausaufgaben, an dem man einfach tun konnte, was man wollte. Izumi gab mir dieses Sonntagmorgengefühl.
    Natürlich hatte sie auch ihre Fehler. In gewissen Dingen konnte sie sehr stur sein, und Fantasie war auch nicht gerade ihre Stärke. Niemals bemühte sie sich, auch nur einen Schritt aus der ihr vertrauten Welt herauszutreten. Nie begeisterte sie sich so sehr für etwas, dass sie darüber Essen und Schlafen vergaß. Ihre Eltern liebte und achtete sie sehr. Izumis Ansichten waren ein wenig banal und ohne Tiefgang, was – im Nachhinein betrachtet – bei einem sechzehn- oder siebzehnjährigen Mädchen völlig normal ist. Auf der anderen Seite kann ich mich nicht erinnern, dass sie auch nur ein einziges Mal schlecht über jemanden gesprochen hätte. Nie brüstete sie sich mit irgendwelchen Dummheiten. Und sie hatte mich gern und war stets fürsorglich. Sie hörte mir ernsthaft zu und machte mir Mut. Ich erzählte ihr viel von mir und meinen Zukunftsplänen. Was ich später einmal tun und was für ein Mensch ich werden wollte. Meist waren es weltferne Träumereien, wie Jungen in dem Alter sie gern von sich geben. Dennoch hörte sie stets interessiert zu und bestätigte mich. »Aus dir wird bestimmt einmal eine große Persönlichkeit. Du hast etwas ganz Besonderes an dir«, sagte sie und meinte es wirklich. Sie war übrigens die Einzige, die jemals so etwas sagte.
    Und es war ein wundervolles Gefühl, sie in den Armen zu halten – auch wenn sie vollständig bekleidet war. Meine Verunsicherung und Enttäuschung rührten jedoch daher, dass ich an Izumi nie etwas entdeckte, das nur für mich bestimmt war. Ich zählte mir ihre guten Eigenschaften auf. Diese Liste war sehr viel länger als die ihrer Fehler und zweifellos auch als die meiner eigenen Tugenden. Doch es fehlte etwas Entscheidendes. Wenn ich dieses Etwas hätte finden können, hätte ich wahrscheinlich mit ihr geschlafen. Ich hätte nicht aufgegeben. Ich hätte sie dazu überredet, mit mir zu schlafen. Doch letztendlich besaß ich nicht die nötige Überzeugung. Denn ich war ein unbedarfter Siebzehn- oder Achtzehnjähriger, der nichts als Sex und seine Neugier darauf im Kopf hatte. Aber irgendwo in diesem Kopf wusste ich, dass ich es, wenn sie nicht wollte, nicht erzwingen konnte und geduldig auf den richtigen Zeitpunkt warten musste.
    Dennoch hielt ich Izumi ein einziges Mal nackt in meinen Armen. »Es ist schrecklich, dass ich dich immer angezogen streicheln muss. Es ist ja in Ordnung, wenn du nicht mit mir schlafen willst, aber ich will unbedingt deinen Körper sehen«, hatte ich gebettelt. »Ich will dich
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