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Süden und die Frau mit dem harten Kleid

Süden und die Frau mit dem harten Kleid

Titel: Süden und die Frau mit dem harten Kleid
Autoren: Friedrich Ani
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hat? Erst setzt sie ihrer Tochter die Sache mit dem Vater in den Kopf und dann verbietet sie ihr, es ihm zu sagen .
    Das ist doch unerhört! Krank ist das! Und dann rennt sie zu ihm und erzählt es ihm auch! Ist die verrückt? Sie kennen die doch bestimmt! Gehört die in die Irrenanstalt? Die ist doch krank, die ist doch an allem schuld! Dass Johann jetzt verschwunden ist, daran ist doch diese Frau schuld, wer denn sonst? Johann hat nicht mehr ein noch aus gewusst, er war besoffen, natürlich, aber so besoffen war er nicht, dass er nicht begriffen hätte, in welcher Lage er jetzt ist. Auf einmal ist er Vater! Und das hat ihn vollkommen durchgerüttelt, vollkommen außer sich gebracht, und das kann ich nachvollziehen, sehr gut! Spielt doch keine Rolle, ob diese Frau diesen Unfall hatte, das spielt keine Rolle, sie hat Johann in den Ruin getrieben, in den inneren Ruin, der hat sich geschämt, dass er ein Mädchen trifft, das seine Tochter ist, und er ist, wie er ist .
    Er ist, wie er ist! Was kann er ihr denn bieten? Was? Sie sind der Polizist, was kann er ihr bieten? Sie wissen doch, wie er lebt! Er lebt praktisch auf der Straße, mein Gott, ich weiß, dass er eine Wohnung hat, ich war dort, er hat einen festen Wohnsitz und sogar eine Arbeit, einen Job, ja. Aber er lebt trotzdem wie ein Penner, stimmt das nicht?«
    »Nein«, sagte ich.
    Die zwei Striche formten noch einmal ein glückloses Lächeln.
    »Er hat erkannt …«, sagte deine Großmutter. Sie sprach jetzt langsam, fast beschwörend. »… er hat zum ersten Mal begriffen, wie verpfuscht sein Leben ist. Und das ist es. Und er hat verstanden, dass man so ein Leben niemandem zumuten kann, schon gar nicht einer Tochter .
    Das hat er verstanden, so besoffen und verdreckt er war, so viel hat sich in seinem Kopf noch bewegt. Und deshalb kam er zu mir. Weil ich ihm einen Rat geben sollte.«
    Sie verstummte.
    Ich nickte leicht. »Welchen Rat haben Sie ihm gegeben?«
    Ohne zu zögern sagte sie: »Diese Frau schnell vergessen! Was denn sonst? So schnell vergessen wie möglich. Er hat mit dieser Frau nichts zu tun, und mit diesem Mädchen auch nicht. Spielt keine Rolle, ob sie vielleicht seine Tochter ist. Das ist ja nicht bewiesen, diese Frau kann das erfunden haben …«
    »Warum?«, sagte ich.
    »Vergessen, habe ich ihm geraten, schnell vergessen!«
    »Aber Johann besuchte Sie noch öfter.«
    »Er ist so. Wenn er mal Kontakt aufgenommen hat, dann kommt er immer wieder. Wie ein Tier, so ist der. Er hat mich vier- oder fünfmal besucht. Besucht! Er kam, besoffen wie immer, und heulte. Ich sagte zu ihm, er soll aufhören, ich kann das nicht leiden, so ein Geheule. Er hat dann aufgehört. Er hat mir gesagt, er trifft dieses Mädchen nicht mehr. Das hat mich gewundert, aber er hat behauptet, das stimmt.«
    »Ja«, sagte ich. »Zu diesem Zeitpunkt hatte er seine Wohnung schon verlassen.«
    »Und wo hat er gewohnt?«, fragte sie mit harter Stimme, beinah, als würde es sie interessieren.
    »Auf der Straße, wie Sie sagen.«
    Nach langen zwei Minuten fragte sie: »Und jetzt? Wo ist er jetzt?«
    »Wissen Sie es nicht?«
    »Sonst würde ich Sie nicht fragen!«
    »Wir suchen ihn«, sagte ich.
    Ihr Kopf sackte nach unten. Sie atmete schwer, ihre Schultern hoben und senkten sich, sie schien gleichzeitig erleichtert zu sein und von einer noch drückenderen Last als bisher gequält zu werden. Sie ließ sogar die Arme hängen, ihr Körper zitterte und ließ ihr Kleid eigenartig rascheln.
    »Er hat keinen Ort erwähnt?«, fragte ich. »Keine Stadt, keine Gegend, keinen Menschen, zu dem er wollte?«
    »Er war bei mir!«, stieß sie hervor. »Ich war der Mensch, zu dem er ging! Er hat mit keinem Wort gesagt, was er vorhat. Dann kam er auf einmal nicht mehr, ich hab mir gedacht, dass er abgehauen ist. Der kommt schon wieder. Vielleicht wird er auf diese Weise endlich mal nüchtern. Der kommt wieder. Wo soll er denn hin? Er ist doch …« Ihr Blick wischte über mein Gesicht. »Er hat nie ein Ziel gehabt … Malen … Malerei … Dazu war er am allerunbegabtesten, zum Malen und … Holz … Ich habe immer geglaubt, das hört irgendwann auf, er begreift seine Situation, er besinnt sich noch, nein … Nein. Nein. Nein.«
    Mit dem letzten Nein drehte sie sich um und ging aus dem Zimmer.
    Ich folgte ihr in die Küche, wo sie sich hinsetzte. Vor ihr auf dem Tisch lagen mindestens hundert Fotos, viele davon in Schwarzweiß.
    Deine Großmutter saß mit dem Rücken zu mir. Ich stellte mich hinter
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