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Süden und die Frau mit dem harten Kleid

Süden und die Frau mit dem harten Kleid

Titel: Süden und die Frau mit dem harten Kleid
Autoren: Friedrich Ani
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dem flachen Gebäude, in dem die Polizei untergebracht war. Auf einem DIN-A4-Blatt hatte ich mir Notizen gemacht, außerdem hatte ich eine Kopie der WA dabei, der vorläufigen Vermisstenanzeige, die die Kollegen in Münzing aufgenommen hatten. Da dein Vater seit ungefähr fünfzehn Jahren in der Landeshauptstadt lebte, gehörte der Fall zu unserem Dienstbezirk, andererseits war er in Münzing aufgewachsen und hatte hier nach wie vor offiziell seinen zweiten Wohnsitz. Wir hätten keinen Anlass gehabt, am selben Tag, an dem uns die Kollegen die Anzeige per Mail übermittelten, aufzubrechen, um eigene Recherchen anzustellen, wenn Polizeiobermeisterin Susanne Berkel nicht angerufen und uns eindringlich gebeten hätte zu kommen. Gemeinsam mit einem Kollegen hatte sie die aufgeregte und verweinte Frau an diesem Morgen vernommen. Und sie sei, erklärte Susanne Berkel am Telefon, überzeugt, dass die Frau, auch wenn sie angetrunken und verwirrt gewesen sei, die Wahrheit gesagt habe .
    »Wie heißt die Frau?«, fragte Sonja Feyerabend .
    »Mathilda Ross«, sagte ich.
    »Wieso ist sie sich so sicher, dass ihr Bruder verschwunden ist?«
    »Sie hat heute Geburtstag, angeblich ruft er jedes Jahr morgens um sieben bei ihr an, um zu gratulieren.«
    »Ist das ein Witz?«, sagte Sonja und warf einen Blick zur Theke, wo reihenweise frisches Gebäck lag .
    Ich hatte nur Kaffee getrunken, doch je länger ich dorthin sah, desto hungriger wurde ich. »Das ist kein Witz.«
    »Das ist doch kein Grund, jemanden als vermisst zu melden!« Sie wurde ungehalten und glaubte, wir seien nur wegen den Launen einer Frau, die morgens um acht betrunken war, und einer übereifrigen Kollegin vierzig Kilometer weit gefahren.
    Zu allem Überfluss kamen in diesem Moment drei Schulkinder in die Bäckerei, die sich leidenschaftlich anschrien.
    »Du hast überhaupt nix kapiert, du blöder Depp!«
    »Du auch nicht!«
    »Ich krieg aber von meiner Mama noch fünf Euros und dann kauf ich mir die Böller!«
    Mit ihren Rucksäcken, die sie auf dem Rücken trugen, rempelten sie Sonja an und schrien ihre Bestellung über die Theke .
    »Eine Breze!«
    »Für mich auch!«
    »Und für mich auch!«
    Sonja setzte sich ihre schwarze Lederschirmmütze auf und verließ eilig den Laden.
    »Wiedersehen«, sagte ich zu der Verkäuferin, nachdem ich bezahlt hatte.
    Draußen war es kalt, ein schneeiger Wind wehte. Kein Funken Sonne .
    Ich lief Sonja hinterher.
    »Der Mann hat Selbstmordabsichten«, sagte ich.
    »Ah ja?«, sagte sie.
    »Die Kollegin sagt, sie glaubt der Schwester.«
    »Ich nicht!«
    An diesem Freitag wären die Menschen, die Sonja Feyerabend über den Weg liefen, vermutlich besser zu Hause geblieben.
    Bevor ich die Klingel an der Tür der Inspektion drückte, nahm ich Sonjas Hand und legte sie an meine Wange, kalt auf kalt.
    »Sie sollten sich mal rasieren«, sagte Sonja.
     
    Wie es in der Polizeidienstvorschrift heißt, gilt eine Person als vermisst, wenn sie ihren gewohnten Lebenskreis verlassen hat und ihr Aufenthalt unbekannt ist. Handelt es sich um Kinder, Jugendliche, verwirrte oder kranke Menschen, leiten wir sofort eine Fahndung ein. Bei Volljährigen, die verschwunden, aber nicht hilflos oder psychisch labil sind, muss eine konkrete Gefahr für Leib und Leben bestehen, sonst sind wir nicht zuständig. Unter »konkrete Gefahr« fällt die Möglichkeit einer Straftat, der ein Vermisster zum Opfer fallen könnte, ebenso wie der Verdacht auf Suizid. Nur unter diesen Umständen starten wir vom Kommissariat 114 aus eine INPOL-Fahndung, was bedeutet, wir geben Daten über die vermisste Person in unser Informationssystem ein, an das auch das Landeskriminalamt angeschlossen ist, wo die Kollegen unsere Angaben mit denen über unbekannte Tote vergleichen.
    Ergeben sich nach einiger Zeit keine neuen Erkenntnisse und bleibt die Person verschwunden, füllen wir Formblätter mit weiteren, exakteren Details aus, die wir dann auch ans Bundeskriminalamt schicken. Über dessen zentrale Suchstelle »Sirene« werden sämtliche Länder informiert, die das Schengener Abkommen unterzeichnet haben. Außerdem arbeitet das BKA mit der »Vermi/Utot-Datei«, in der die Daten über Vermisste und unbekannte Tote aus allen sachbearbeitenden Dienststellen der Bundesrepublik gespeichert und für jeden zuständigen Kommissar abrufbar sind. Müssen wir die Fahndung über das BKA und »Sirene« ausweiten, schalten wir Interpol ein .
    Parallel dazu bitten wir die Presse und den ADAC um
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