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Süden und die Frau mit dem harten Kleid

Süden und die Frau mit dem harten Kleid

Titel: Süden und die Frau mit dem harten Kleid
Autoren: Friedrich Ani
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musst du dir vorstellen, so haben wir uns kennen gelernt, die hat behauptet, sie arbeitet für eine Zeitung oder für den Rundfunk, weiß nicht mehr, sie hat mich was gefragt, Umfrage, sie ist an der Tür gestanden, ganz in Schwarz, erst bin ich echt erschrocken, hab gedacht, die …«
    »Johann!«, sagt Eva. »Johann, hörst du mich? Hörst du mich?«
    Er stutzt, nickt, zeigt auf Evas Weinglas, aus dem sie erst einen Schluck getrunken hat. Dann schaut er wieder zum Tresen, zu dem Mann mit dem breiten Rücken, und hebt sein Glas.
    »Auf Liane!«, sagt er. »Aus der wird was, aus der wird eine Journalistin, das ist ein Job, da werden immer Leute gebraucht, die Liane hat einen eigenen Stil, das weiß ich, die …«
    »Auf Liane!«, sagt Eva und trinkt und hört ihm nicht mehr zu. Ihr fällt das Bild ein, das sie mitgebracht hat, und obwohl sie es eigentlich nicht möchte, greift sie hinter sich, um das Foto aus der Tasche zu holen, die über der Stuhllehne hängt.
    »Tschuldige«, sagt Johann, steht abrupt auf und zwängt sich zwischen Eva und dem Nebentisch hindurch. Dabei rutscht die Handtasche zu Boden, aber er merkt es nicht.
    Als er von der Toilette zurückkommt, liegt ein Fünfzigeuroschein auf dem Tisch, und Eva ist verschwunden.
     
    Ist es so gewesen? Alles, was deine Mutter mir erzählt hat, war, dass er ihren Namen verwechselt, ständig getrunken und geredet hat und dass sie sich plötzlich unsagbar schämte, weil sie glaubte, sie habe euer gemeinsames neunzehn Jahre dauerndes Leben preisgegeben aus einem Bedürfnis nach Ehrlichkeit, das vollkommen nutzlos und lächerlich und egoistisch gewesen sei. Wenn dein Vater auch nicht im Ausland untergetaucht war, wie sie behauptet hatte, so war er doch an einem Land weit außerhalb deiner und ihrer Gegenwart gestrandet, unrettbar.
    Das Foto, auf dem du ein Jahr alt bist, hatte sie ihm nicht gezeigt, und obwohl sie die feste Absicht gehabt hatte, es ihm zu schenken, war sie, wie sie sagte, maßlos erleichtert, es wieder in das Album zurücklegen zu können .
    Vielleicht schenkst du es ihm eines Tages, du, seine Geliebte, die sein Land erreicht hat.

14
    I n Volker Thons rauchdurchflutetem Büro brannte nur die Schreibtischlampe. Der Leiter der Vermisstenstelle saß hinter seinem mit Akten überhäuften Schreibtisch auf seinem Stuhl wie jemand, den man vergessen hatte abzuholen. Bei meinem Eintreten zündete er sich gerade ein neues Zigarillo an .
    Erst nachdem sich meine Augen an den Dunst gewöhnt hatten, bemerkte ich, dass in dem Ledersessel an der Wand Paul Weber saß, die Ärmel seines weißen Hemdes hochgekrempelt, die aufgebundene schwarze Krawatte hing ihm von den Schultern .
    »Guten Abend«, sagte ich.
    »Tabor«, sagte Weber und wollte aufstehen, aber ich gab ihm ein Zeichen sitzen zu bleiben .
    Volker Thon sah von einer Akte auf, die er vor sich liegen hatte.
    »Dieses Mädchen …«, sagte er grußlos. »Liane Woelk, warum sollen wir die suchen?«
    »Sie ist eine Zeugin«, sagte ich .
    »Kann ja sein«, sagte er. »Vor allem ist sie volljährig.«
    Ich sagte: »Sie ist verschwunden.«
    »Setz dich, bitte!«, sagte Thon .
    Ich blieb stehen.
    »Sie ist nicht verschwunden«, sagte Thon und kratzte sich mit dem Zeigefinger am Hals. »Du bist ihr begegnet . Wir haben schlimmere Fälle zu bearbeiten. Und du …«
    Er zeigte mit der Mappe auf mich. »Wenn du schon am Wochenende arbeitest, dann kümmere dich um Fälle, die wirklich dringend sind.« Er legte die gelbe Mappe hin und nahm eine grüne. »Josefa Birgel, schwer suizidgefährdet, ebenso Clara Wolter und Irene Schenk, da sind einige Bekannte noch nicht befragt worden, und bei Frau Schenk müssen wir wahrscheinlich jetzt doch den ADAC einschalten, das wäre eine Aufgabe für dich … Außerdem …«
    Er ließ die Mappe auf den Tisch fallen und griff wieder nach deiner Akte. »Dieses Mädchen … Dauerläuferin … sie ist inzwischen neunzehn, wir haben da erst mal überhaupt nichts zu tun …«
    »Das weiß ich«, unterbrach ich ihn .
    »Selbstverständlich weißt du das. Was machst du dann hier?«
    »Ich habe Paul versprochen, noch einmal vorbeizuschauen«, sagte ich. »Und du? Was machst du hier? Du hast keinen Dienst. Bist du zu Hause rausgeflogen?«
    Er zog am Zigarillo. Dann stand er auf, ging zum Fenster, blies den Rauch gegen die Scheibe, sah Weber und mich an und schüttelte den Kopf. Anders als sonst sah er blass und schlaff aus, mit jedem Zug schien seine Vitalität aus ihm zu entweichen.
    »Er
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