Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Süden und die Frau mit dem harten Kleid

Süden und die Frau mit dem harten Kleid

Titel: Süden und die Frau mit dem harten Kleid
Autoren: Friedrich Ani
Vom Netzwerk:
Bedienung neben ihr.
    »Was haben Sie für einen Rotwein?«, fragt sie allen Ernstes.
    »An Chianti, an Beaujolais, sonst muss ich nachschaun.«
    »Einen Chianti«, sagt deine Mutter.
    »Mutig«, sagt dein Vater.
    Noch weiß er nicht, dass er das ist: dein Vater. Er fängt an zu reden, er redet über seine Arbeit im Baumarkt, er erwähnt die Namen von Männern, die du kennst, Rudi, Karre und andere, er redet, als wäre irgendetwas von dem, was er sagt, von Bedeutung für Eva, als müsse er ihr etwas erklären, damit sie ihn verstehe, damit sie begreife, wie sein Leben funktioniert, damit sie womöglich ein Interesse daran entwickelt.
    Bald setzt sich ein Paar zu ihnen an den Tisch. Zwischen der jungen Frau, offensichtlich einer Studentin, und Eva ist noch ein Stuhl frei, und Eva dreht ihr den Rücken zu, um Johanns Stimme abzufangen, der ihr nun frontal ins Gesicht spricht.
    Wie in dem Café bestellt sie innerhalb von kurzer Zeit den zweiten Wein, obwohl er ihr nicht schmeckt. In regelmäßigen Abständen hebt Johann sein leeres Glas, dann bringt ihm die Bedienung ein neues, macht einen Strich auf dem Bierdeckel und sagt jedes Mal: »Zumwoidann.«
    Und Johann stößt mit Eva an, und sein Blick kreuzt ihr Gesicht, und sie möchte zu einer Erwiderung ansetzen, doch da galoppieren schon die nächsten Worte über sie hinweg und über ihre Tischnachbarn, die immer wieder in ihrem Gespräch innehalten, was ihr nicht entgeht, und einmal so lange zuhören, bis sie sich umdreht .
    Beim Anblick der beiden steigen ihr Tränen in die Augen. Sie lässt sich nichts anmerken, doch weil sie fürchtet, sie könne sich blamieren, steht sie auf und geht zur Toilette. Auf dem Weg um den erhöhten Tresen herum, unter dem ihr Tisch steht, hört sie Johann unbeeindruckt weitersprechen.
    In der Toilette setzt sie sich auf den geschlossenen Deckel. Sie kommt sich lächerlich und dumm vor, sie hat keine Erklärung für diese Empfindung, die vorhin so mächtig in ihr hochstieg, dass sie kurz davor war, der jungen Frau über den Rücken zu streicheln. Wie peinlich das gewesen wäre! Zum Glück hat Johanns Gerede sie ernüchtert. Halbwegs ernüchtert. Was sie so berührt, fast erschüttert hat, war das Alter der beiden. Den Mann schätzt sie auf etwa zwanzig, die Frau auf ungefähr neunzehn, so alt wie dich. Eva blickte in die von jeder Zerstörung freien Augen der beiden, auf die unverwundete Haut ihrer Hände und Gesichter, und in ihrer Vorstellung klangen ihre Stimmen, als schöpften sie aus einem Vorrat von unschuldigen Worten. Als wäre jeder Satz, den sie sich sagten, die Beschwörung eines Schweigens, in dem sie später eins und unzertrennlich sein würden.
    In diesem Kneipenklo, die Hände im Schoß vergraben, fröstelnd, muss Eva wie besessen an ihr Alter denken, wieder und wieder sieht sie die Zahl vierzig vor sich, vierzig vierzig vierzig, und obwohl ihr vage bewusst ist, dass vierzig Jahre kein Alter sind, vierzig ist gar nichts, denkt sie, vierzig ist gar nichts, nicht mal für eine Frau, vierzig ist ein Anfang, andere kriegen noch Kinder mit vierzig, viele Frauen, nicht nur Prominente, die es sich leisten können, vierzig ist doch nichts … obwohl sie auch solche Gedanken hat, sagt eine Stimme in ihr mit fürchterlicher Wucht, gegen die sie machtlos ist: Wer so allein ist wie du, bei dem zählen die Jahre doppelt. Einsamkeit macht alt! Alt alt alt!
    »Nein!«, ruft sie und springt auf und schlägt mit der Stirn gegen die Tür. Sie wimmert, ihr ist schlecht vom Wein, von der Luft, von den Bildern, von den Stimmen, von der einen Stimme, die ihr mit jedem einzelnen Wort ins Herz hämmert, was aus ihr geworden ist. Eigentlich, denkt sie und schiebt den Türriegel auf, schließt kurz die Augen und wäscht sich dann mit kaltem Wasser das Gesicht ab, eigentlich bin ich genauso verloren gegangen wie er, und wenn ich kein Kind hätte großziehen müssen, wäre ich geworden wie er, ein Kreisel, der sich um sich selber dreht. Und im schlimmsten Fall hätten wir uns nebeneinander gedreht, auf der Straße, vor allen Leuten, in Cafés und Kneipen, unempfänglich für den Spott und den Abscheu der Leute.
    Nein, sagt sie auf dem Weg in die Gaststube, ich bin nicht wie er und ich werd auch niemals so werden .
    »Du …«, sagt er. Sie setzt sich und wirft dem Paar einen schnellen Blick zu. Als die Bedienung kommt und dem jungen Mann das Wechselgeld zurückgibt, würde Eva das Paar am liebsten bitten, noch zu bleiben. Und wenn sie sie gefragt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher