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Süden und die Frau mit dem harten Kleid

Süden und die Frau mit dem harten Kleid

Titel: Süden und die Frau mit dem harten Kleid
Autoren: Friedrich Ani
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beide stehen, zwischen uns der leere Tisch mit dem grauen Wachstuch im gelben Licht der Stehlampe, in einem kühlen Zimmer, das ich noch abweisender fand als beim ersten Mal, abweisend wie die Bewohnerin mit dem verkniffenen Mund, für die ich ein Eindringling war, der ihr den Frieden rauben wollte .
    »Sie haben mich angelogen, Frau Farak«, sagte ich. »Ihr Sohn wusste, dass er eine Tochter hat, und deswegen ist er zu Ihnen gekommen.«
    »Nein«, sagte sie, und mir fielen wieder ihre Lippen auf, zwei Striche, so schmal wie Fehler auf der Haut .
    »Er war hier«, sagte ich. »Ich habe den Rauch seiner Zigaretten und sein Rasierwasser gerochen.«
    »Sie sollten mal einen HNO-Arzt konsultieren.«
    Ich schwieg.
     
    Dann machte ich einen Schritt zurück, auf den Heizkörper unter dem Fenster zu, der ein wenig Wärme abstrahlte. Aus drei Metern Entfernung beobachtete deine Großmutter jede meiner Bewegungen, jedes Heben meines Kopfes, jede Geste, jedes Luftholen. Mit den Händen hinter dem Rücken stand sie da, eine Frau von achtundsechzig Jahren, die man ebenso gut auf Mitte siebzig hätte schätzen können.
    Es war Sonntagabend gegen halb neun, und ich fragte mich, was sie getan hatte, bevor ich kam. Keine Zeitung lag herum, der Fernseher war ausgeschaltet, nirgends benutztes Geschirr, die Rollos waren heruntergelassen, das Verkehrsrauschen von der nahen Autobahn schien weit entfernt zu sein. Auch aus dem Haus waren keine Geräusche zu hören. Als liege diese Wohnung abseits der wirklichen Welt, nur von einem Menschen bewohnt, einer in sich vergrabenen, lichtlosen Frau .
    »Warum leben Sie hier?«, fragte ich. Sie antwortete nicht, und ich fuhr fort: »Ihr Mann war Zahnarzt, er hat gut verdient, er muss Ihnen doch Geld dagelassen haben, bevor er in seine Heimat zurückging.«
    Aus der Felsspalte ihres Mundes echote ein eisiges Wort: »Heimat!«
    Doch ihr Blick ließ mich nicht aus, und so sagte ich: »Wenn er Ihnen kein Geld dagelassen hat, muss es einen Grund dafür gegeben haben. Welchen Grund?«
    Nichts an ihr verriet eine Reaktion. Sie blinzelte nicht einmal.
    »Welchen Grund?«, fragte ich. Dann gab ich mir einen Ruck und ging zwei Schritte auf sie zu. Was sie veranlasste, den Kopf zu senken und auf meine Schuhe zu schauen. Wie jemand, dem es unbegreiflich erscheint, dass ein anderer imstande ist, sich vorwärts zu bewegen.
    »Es ist niemand hier«, sagte ich. »Nur wir beide. Was Sie mir sagen, erfährt niemand.«
    »Sie lügen«, sagte sie schnell.
    »Vielleicht Ihre Enkelin«, sagte ich. Bei diesem Wort ruckte sie mit dem Kopf, zögerte, wie um Mut zu fassen, und verzog den Mund zu einem Lächeln. Es war, wenn ich mich nicht täuschte, ein abfälliges Lächeln, aber es war ein Lächeln und damit eine menschliche Regung.
    »Meine Enkelin«, sagte sie.
    Ich wartete. Ich würde so lange schweigen, bis sie mich hinauswarf.
    »Natürlich war er bei mir«, sagte sie. Das Lächeln war versteinert. »Zu wem hätte er sonst gehen sollen? Diese Frau hatte die Chuzpe, ihm nach neunzehn Jahren ins Gesicht zu sagen, dass sie eine Tochter von ihm hat.« Sie sah mich an, vielleicht in der Hoffnung, ich würde eine Frage stellen. Da ich weiter schwieg, sagte sie: »Er war am Boden zerstört. Und wie zerstört muss er gewesen sein, dass er zu mir kam. Mich hasst er, das haben Sie wahrscheinlich schon erfahren, von meiner Tochter, die mich auch hasst, weil ich ihren Bruder angeblich schlecht behandelt habe. Was wissen die von mir? Meine Kinder wissen nichts von mir! Und Johann … Er ist ein begabter Junge gewesen, und ich habe versucht, seine Begabung zu fördern, er hat sich geweigert. Er hat sich mit aller Macht dagegen gewehrt …«
    Jetzt veränderte sich ihr Blick.
    »Würden Sie bitte Abstand von mir halten«, sagte sie . »Das wäre mir angenehm.«
    Ich trat einen Schritt zurück, dann noch einen halben .
    »Danke«, sagte sie.
    Ich sagte: »Was wollte Ihr Sohn von Ihnen, Frau Farak?«
    »Was er wollte? Er wollte nichts. Er kam, weil er so besoffen und so verzweifelt war. Wir saßen in der Küche, und er hat geheult. Wie als kleiner Junge. Er hat viel geheult damals, sehr viel.«
    Wenn ich mir nicht sicher gewesen wäre, dass ich damit ihre vorübergehende Bereitschaft zu sprechen zunichte gemacht hätte, hätte ich ihr ins Gesicht gesagt, dass ich wusste, warum ihr Sohn damals so viel geheult hatte .
    »Und er hat sich geschämt«, sagte sie. »Er hat sie ja gekannt, ist das nicht perfide, was diese Frau angestellt
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