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Süden und die Frau mit dem harten Kleid

Süden und die Frau mit dem harten Kleid

Titel: Süden und die Frau mit dem harten Kleid
Autoren: Friedrich Ani
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keinen Menschen unter der Sonne.«
    Vielleicht war er glücklich mit dir, vielleicht mehr als je zuvor, und dann erfuhr er die Wahrheit und traute seinem Glück nicht mehr, dem Anfang, dem ersten Blick, dem ersten Satz .
    »Sind Sie Johann Farak?«
    »Ja.«
    »Ich mach eine Umfrage darüber, wie die Leute in dieser Stadt leben, was sie denken, was sie sich wünschen, haben Sie Zeit, mir ein paar Fragen zu beantworten?«
    »Klar, komm rein, ich leb schon lange in dieser Stadt, ich arbeite hier, ich male hier, ich bin unterwegs, viel draußen …«
    »Sie sind Maler?«
    »Willst du ein Bier? Hier, trink was, setz dich, zieh deinen Mantel aus!«
    »Nein, ich …«
    »Die Leute leben hier gut, in dieser Stadt, ist eine reiche Stadt, auf den ersten Blick, jeder kommt zurecht, stimmt nicht, stimmt nicht, das Klima ist kalt, du musst mal hinhören …«
    »Was arbeiten Sie?«
    »Ich male, nebenher bin ich im Baumarkt, ist dir nicht heiß? Sind mindestens fünfundzwanzig Grad heut, zieh deinen Mantel aus, sieht stark aus, deine Frisur, das macht was her …«
    »Sind Sie verheiratet?«
    »War ich sozusagen mal, einen Trauschein haben wir nicht gehabt, natürlich nicht, wozu brauchst du die Bürokratie in der Liebe? Ich hol mir noch ein Bier, willst du eins, ich bring dir eins mit …«
    »Okay.«
    »Okay ist okay, ich bin gleich wieder da, zieh deinen Mantel aus …«
    Verzeih mir mein Phantasieren! Hast du auch, wie ich jetzt, die leisen Klänge der Zither gehört, als du zum ersten Mal in dieser Wohnung warst? Erinnerst du dich? Erzähle mir von deinen Erinnerungen, vergrabe sie nicht, sie sind eine große Wirklichkeit.
    Um Mitternacht verließ ich die Wohnung deines Vaters und …
     
    … nun ist es wieder Mitternacht, der dreiundzwanzigste Dezember bricht an. Vor einer Stunde klingelte das Telefon, jemand sprach auf den Anrufbeantworter, aber ich habe die Nachricht nicht abgehört .
    Zweieinhalb Monate nach dem Verschwinden deines Vaters haben wir noch immer keine Spur von ihm. Nachdem mein Vorgesetzter eingesehen hatte, dass es im Fall deines Vaters nicht um das verbriefte Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit geht und er die Hinweise auf Johanns Selbstmordabsichten ernst nehmen muss, fütterten wir das INPOL-System mit neuen Informationen, die Landeskriminalämter verschickten Sammelfernschreiben, die Zeitungen veröffentlichten Fotos. Darüber hinaus leitete das Bundeskriminalamt eine Auslandsfahndung ein, was bedeutete, dass die Daten deines Vaters auch in Ländern wie Frankreich, Belgien, Italien oder Griechenland mit denen von unbekannten Toten verglichen werden. Auch die Auslandsvertretungen der deutschen Regierung erhielten diese Fernschreiben. Wir dachten, jemand, der so viel redet wie dein Vater, müsste auffallen und den einen oder anderen Zuhörer dazu bewegen, die Deutsche Botschaft oder eine andere Einrichtung um Hilfe für den offensichtlich verstörten Mann zu bitten.
    Meine Kolleginnen Sonja Feyerabend und Freya Epp führten noch einmal Gespräche mit Andrea Langer, deiner Tante Mathilda, deiner Großmutter Hanne und natürlich mit deiner Mutter, die uns, was deinen Vater betraf, keine neuen Hinweise geben konnte .
    Dafür riefst du an, sogar ein zweites Mal, nachdem du mich am achten Dezember beim ersten Mal nicht erreicht hattest.
    Das war ein großer Schritt, Liane. Weder dein Großvater noch dein Vater haben je wieder ein Wort an ihre Angehörigen gerichtet, du bist die Erste in eurer Familie. In dieser Familie der Weggehenden, hinter denen sich eine Wand schloss. Du hast, wie ich dir am Anfang schrieb, die Tapetentür geöffnet. Du hast sie erkannt und weißt genau, niemand, ich am wenigsten, wird dich durch sie hindurchgeleiten. Doch vielleicht ist das nicht nötig .
    Vielleicht reicht es, wenn du winkst und deine Mutter sieht dich aus der Entfernung.
    »Ich bin in Berlin«, hast du gesagt, und deine Mutter habe alles kaputtgemacht. Und: Du würdest nicht eher zurückkommen, bis dein Vater wieder aufgetaucht sei. Und: »Ich hasse München!« Und: Ich solle bloß keine Bullen hinter dir herschicken, wenn ich das täte, würdest du nicht einmal zur Beerdigung deiner Mutter zurückkommen. Und: Ich könne deiner Mutter sagen, dass du dich gemeldet hast, aber nicht, von wo. »Wie gehts dir?«, fragte ich dich, und du: »Gut. Ich mach Musik, und tschüss!«
    Dann war unser Gespräch zu Ende .
    Wie du es erlaubt hast, habe ich deiner Mutter gesagt, dass du dich gemeldet hast und dass es dir gut
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