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Der Stein der Könige 1 - Quell der Finsternis

Der Stein der Könige 1 - Quell der Finsternis

Titel: Der Stein der Könige 1 - Quell der Finsternis
Autoren: Margaret Weis
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Der Prügelknabe
    Der Junge schaute hinauf zum Schloss. Die schimmernden Marmormauern waren feucht vom Sprühwasser der sieben Wasserfälle, die zu beiden Seiten der Anlage niederstürzten, vier im Norden und drei im Süden, und sie glitzerten in der frühmorgendlichen Sonne. Regenbögen tanzten über die Schlossmauern. Auf dem Land glaubten die Leute, dass Regenbögen feines, von Feen gesponnenes Tuch waren, und mehr als ein alberner Bursche hatte bei dem Versuch, sich dieses Tuch zu holen, in den herabstürzenden Wassermassen den Tod gefunden.
    Der Junge wusste es besser. Er wusste, dass Regenbögen keine Substanz hatten und nur aus Sonnenlicht auf Wasser bestanden. Nur das, was sowohl im Dunkeln als auch im Licht existiert, ist wirklich und greifbar.
    Der Junge betrachtete das Schloss ohne besondere Gefühle, nur mit einer Art gleichmütiger Schicksalsergebenheit, wie man sie häufig bei getretenen Hunden findet. Nicht, dass man ihn bisher viel getreten hätte – er war schlicht ignoriert worden. Er stand kurz davor, seine Eltern und sein Zuhause zu verlassen und ein neues Leben zu beginnen, und eigentlich hätte er traurig sein sollen, verängstigt, zögerlich und voller Heimweh. Er empfand nichts dergleichen, er war nur müde von dem langen Weg, und seine neuen Wollstrümpfe waren unangenehm warm und kratzig.
    Er und sein Vater standen vor dem Tor in der hohen Außenmauer. Hinter dem Tor befand sich ein Hof, und hinter dem Hof führten Tausende von Stufen hinauf zum eigentlichen Schloss, das mit der Rückfront zu einem Steilhang errichtet worden war. Das Gebäude war nach Westen ausgerichtet, die meisten Fenster gingen auf den Ildurel-See hinaus, und die Rückfront der Anlage drängte sich gegen die Felsen im Osten. Die obersten Türme erreichten gerade eben die Höhe des Hammerklauenflusses, der von Osten nach Westen strömte und dessen Fluten, die über den Steilhang talwärts stürzten, die Regenbögen erzeugten.
    Die Schlossmauern bestanden aus weißem Marmor – der Junge hatte einmal bei einem Festessen eine Abbildung ebendieses Schlosses aus Zuckerwürfeln gesehen –, und sie waren mehrere Stockwerke hoch. Wie viele, hätte der Junge nicht sagen können, denn der Gebäudekomplex zog sich an der gesamten Steilwand entlang. So viele Türme ragten überall hervor, so viele Zinnen und Wehrgänge führten in alle möglichen Richtungen, und so viele kleine bleiverglaste Fenster blitzten im Sonnenlicht, dass es ihn ganz wirr im Kopf machte. Er hatte mit dem Zuckerwürfelschloss spielen wollen, und seine Mutter hatte ihm gesagt, das wäre vielleicht möglich, aber am nächsten Morgen hatten es die Mäuse schon gefressen.
    Der Junge starrte nun ehrfürchtig dieses Schloss an, das nicht aus Zucker bestand und wahrscheinlich nicht von Mäusen – nicht einmal von Drachen – gefressen werden würde. Ein Flügel erregte seine besondere Aufmerksamkeit. Er lag nach Osten, ging auf die Vier Wasserfälle hinaus. Aus diesem Gebäudeflügel ragte ein Turm hervor, der höher war als die anderen und einen Balkon hatte, der ganz um den Turm herumging. Das war der Königsweg, erklärte der Vater des Jungen, und König Tamaros, die Götter mochten ihn segnen, war der Einzige, der diesen Balkon betreten durfte.
    Von dort aus kann der König doch sicher die ganze Welt sehen, dachte der Junge. Oder wenn schon nicht die ganze Welt, so zumindest die gesamte riesige Stadt Vinnengael. Die sah der Junge nun schon beinahe selbst, und das, obwohl er nur auf der Palasttreppe stand.
    Vinnengael war auf drei Ebenen errichtet worden. Die unterste davon befand sich auf gleicher Höhe mit dem See, der sich bis zum Horizont erstreckte und dessen anderes Ufer vom Turm des Königs aus wohl noch gerade eben zu erkennen war. Die zweite Ebene der Stadt lag auf einem Hochplateau, das sich über dem Ufer erhob, und von dort aus ragte ein weiterer Steilhang empor, der von der dritten Ebene gekrönt wurde. Der Palast befand sich auf dieser dritten Ebene. Gegenüber vom Palast, hinter dem Jungen und auf der anderen Seite eines riesigen, marmorgepflasterten Platzes, stand der Tempel der Magier.
    Tempel und Palast, Herz und Kopf des Königreichs, waren die beiden größten Gebäudekomplexe auf der dritten Ebene. Im Norden gab es Kasernen, die an den Palast angebaut waren. Im Süden, auf einem Felsvorsprung, standen die eleganten Häuser der Botschafter fremder Länder.
    Die Bewaffneten am Außentor warfen dem Vater des Jungen nur einen gelangweilten
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