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Süden und der Luftgitarrist

Süden und der Luftgitarrist

Titel: Süden und der Luftgitarrist
Autoren: Friedrich Ani
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doch gut«, sagte ich.
    »Haben Sie die mal gesehen? Wie das aussieht? Die stehen auf der Bühne und fuchteln rum. Am zweiten Abend hab ich mir eine Sonnenbrille aufgesetzt, damit ich das nicht anschauen muss. Und der Klaus? Der liegt daheim und hat Grippe. Jetzt muss ich mit denen allein fertig werden. Einer ist verschwunden, sagen Sie? Sehr gut! Von mir aus können die alle verschwinden, ich such nicht nach denen.«
    »Morgen ist doch sowieso der letzte Tag«, sagte ich.
    »Brutalste Spinner«, wiederholte Faks. Wir verabredeten uns für elf Uhr, bis dahin, so hoffte Martin Heuer, hätte er die rund zwanzig Luftgitarristen, die zwar bereits ausgeschieden waren, aber noch ein paar Tage durch die Stadt bummelten und die Endausscheidung besuchen wollten, ausfindig gemacht. Ursprünglich hatten sich fünfzig Teilnehmer angemeldet, die, verteilt auf mehrere Gruppen, gegeneinander antraten. Und Edward Loos, einer der beiden Spieler, die es bis ins Finale geschafft hatten, war seit gestern Abend verschwunden, er hatte das »Substanz« gegen einundzwanzig Uhr überraschend verlassen, nicht ohne Martin, mit dem er sich angefreundet hatte, zu einem Mitternachtsdrink ins Lokal neben der Pension, in der er wohnte, einzuladen.
    Dort wartete Martin bis halb zwei, bevor er an der Rezeption nachfragte. Loos war nicht in seinem Zimmer. Auf eine Weise beunruhigt, für die Martin keine richtige Erklärung hatte, fuhr er mitten in der Nacht ins Dezernat, um Edwards Handynummer herauszufinden, was schneller ging, als er erwartet hatte. Doch er erreichte ihn nicht. Auch am Morgen tauchte Edward Loos nicht in der Pension »Stefanie« auf.
    »Für ihn ist Luftgitarrespielen was Religiöses«, sagte Martin. »Er würd nie freiwillig darauf verzichten gegen mich anzutreten.«
    Entgegen allen Erwartungen hatte Martin Heuer es tatsächlich bis ins Finale geschafft. Keinen Euro hätte ich darauf gewettet. Niemand hätte das getan.
    »Wir müssen ihn suchen«, sagte Martin. Ich sagte: »Er ist nicht als vermisst gemeldet.«
    »Er wirkte extrem nervös, ich glaube, er wollt mit mir über etwas reden in der Kneipe. Sein Handy ist die ganze Zeit ausgeschaltet, das war vorher nicht so, er hat ein paar Anrufe aus seinem Büro in Erfurt entgegengenommen, sie planen ein neues Projekt, und er ist anscheinend einer der maßgeblichen Architekten. Irgendwas ist passiert.«
    In den zwölf Jahren meiner Arbeit auf der Vermisstenstelle gab es keinen Fall, den ich ausschließlich mit Fachwissen und Logik, den Grundelementen der Kriminalistik, gelöst hätte. Manchmal luden mich junge Kollegen in ihre Seminare ein, um etwas über die Gründe meiner Fahndungserfolge zu erfahren, über die ich selten nachdachte und die mich eher irritierten als ermutigten, weil ich am Ende doch nur eine Akte schloss und keines Menschen Tröster sein konnte, was vielleicht ein wahrer Erfolg gewesen wäre. Auf die Frage nach der wichtigsten Eigenschaft, die einen Kriminalisten auszeichnen sollte, antwortete ich immer dasselbe: Intuition. Letztendlich reduzierte sich unsere Arbeit in vielen Fällen auf das Gespür für die Vibrationen am Rande eines Schweigens und die leisen Echos der Lügen, mit denen wir täglich konfrontiert wurden.
    Und wenn ein erfahrener Kommissar wie Martin Heuer seiner Intuition folgte, dann war es klug zu handeln, auch wenn es keinerlei Hinweise auf eine Straftat, einen Unglücksfall oder Suizidabsichten gab, normalerweise Voraussetzungen dafür, dass wir vom Dezernat 11 überhaupt zuständig waren.
    Also machten wir uns auf die Suche nach einem Luftgitarristen, der sich in Luft aufgelöst hatte.
    Obwohl Martin Heuer in einer fulminanten Telefonaktion die Leute zusammengetrommelt hatte, kam er selbst nicht ins »Substanz«, sondern versuchte, mit Edwards Kollegen in Frankfurt Kontakt aufzunehmen. Auch hatte er vor, anschließend noch einmal Befragungen im Umfeld der Pension in der Türkenstraße durchzuführen und Edwards Mutter zu erreichen, die im Stadtteil Neuhausen wohnte. Natürlich hatte er in der Früh als Erstes bei ihr angerufen, aber sie war nicht zu Hause gewesen oder ging nicht ans Telefon. Nach Martins Einschätzung bestand zwischen Mutter und Sohn nicht gerade ein enger Kontakt, allerdings habe Edward ihm erzählt, er sei seit fünf Jahren nicht mehr in München gewesen und wolle die Gelegenheit nutzen, seine Mutter wiederzusehen.
    »Mittwoch Abend war er bei ihr«, sagte Martin, dessen Schreibtisch schon morgens um acht von Zetteln und
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