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Süden und der Luftgitarrist

Süden und der Luftgitarrist

Titel: Süden und der Luftgitarrist
Autoren: Friedrich Ani
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Blättern übersät war.
    »Was hat er dir erzählt?«, sagte ich.
    »Wenig. Wir mussten uns aufs Halbfinale konzentrieren.«
    Sonja und ich waren dabei gewesen und hatten den Altersdurchschnitt der Zuschauer erheblich erhöht.
    »Hat er noch Geschwister?«, fragte ich.
    »Ich hab ihn nicht gefragt«, sagte Martin. Zeitweise führte er zwei Telefongespräche gleichzeitig.
    »Wo bleibtn Mr Jeepster?«, stieß eines der Bleichgesichter am »Substanz«-Tresen hervor. Ich sagte: »Der kommt nicht.«
    »Wieso nicht?«
    »Er arbeitet.«
    »Wieso?«
    »Er macht das Gleiche wie wir«, sagte ich. »Er versucht rauszukriegen, was mit Edward Loos passiert ist.«
    »Wieso?«
    »Bitte?«
    »Wieso?«
    Je länger ich mein Gegenüber und die anderen, aus verschiedenen Bundesländern stammenden Freunde des unsichtbaren Akkords betrachtete, desto mehr war ich davon überzeugt, sie verbrachten nach ihrem Ausscheiden aus dem Wettbewerb nicht ein paar zusätzliche Ferientage in München, sondern sie schafften es einfach nicht wegzukommen. Massiv bebiert, schleppten sie sich als Opfer der Schwerkraft durch die Straßen, blieben in Stehausschänken kleben wie Groupies an Stars und übten zwischendurch an ihren Gitarren komplizierte Riffs. Jedenfalls sah, was The Opera tat, ganz danach aus.
    »Würden Sie das bitte lassen!«, sagte Sonja Feyerabend.
    »Was?«
    »Das ist eine polizeiliche Vernehmung, reißen Sie sich zusammen!«
    Ich fand, Sonja sollte zu The Opera nachsichtiger sein, denn er hatte das fünfzehnte Lebensjahr höchstens um fünf Jahre überschritten. Wie die meisten seiner Zunft trat er nicht unter seinem richtigen Namen auf, der Konstantin Berg lautete und keine Rolle spielte, zumindest im Moment nicht. Martin Heuer nannte sich Mr Jeepster, vermutlich nach einem Song der Siebziger-Jahre-Band T. Rex, doch aus unerfindlichen Gründen weigerte er sich, das zuzugeben. Was Martin außer dem Alter – die meisten Teilnehmer waren zwischen achtzehn und dreißig – von seinen Konkurrenten unterschied, war, dass er seinen Auftritt nicht allein bestritt, sondern mit einer Kombo auftrat. Als der Conferencier ihn am ersten Abend ankündigte, sagte Sonja: »Das ist mir zu blöd, ich geh.« Ich hielt sie fest, und es klappte. Die Menge grölte, und ich war neugierig zu erfahren, wie jemand ohne Instrument Mitglied einer Band sein konnte, die nicht existierte. Und egal, wie oft Sonja Feyerabend von einem Lachkrampf geschüttelt wurde, nicht zuletzt auf Grund des fabelhaften Zusammenspiels mit seinem Quartett, das noch dazu einen unaussprechlichen Namen hatte, erreichte Martin das Finale, und zwar als krasser Außenseiter. Sein Mut, nicht sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen, überzeugte die Jury vom ersten Song an. Und ebenso natürlich seine technische Brillanz.
    »Ich geh mal raus, eine rauchen«, sagte Faks, der Wirt. Seltsame Welt: Eine Horde ausgepowerter Luftgitarristen und ein Wirt, der vor die Tür seines Lokals ging, um eine Zigarette zu rauchen.
    »Hat einer von euch Edward Loos schon früher mal gesehen?«, sagte Sonja, die sich weigerte, ihre lederne Schirmmütze abzunehmen. Der Geruch nach kaltem Rauch und abgestandenem Bier brachte sie dazu, sich ständig an der Nase zu zupfen.
    Von den kahlen Gesichtern ging eine orchestrale Stille aus.
    »Hallo«, sagte Sonja.
    Einige wankten, andere schienen mit offenen Augen zu schlafen. Wie sie es geschafft hatten, hierher zu kommen, blieb mir ein Rätsel.
    »Hallo«, sagte ein rothaariger dürrer Junge, den ich im ersten Moment auf höchstens vierzehn schätzte.
    »Ja?«, sagte Sonja.
    »Was weißt du über Edward?«, sagte ich.
    »The Vagabond«, sagte der Rothaarige. Seinen Künstlernamen hatte ich vergessen gehabt.
    »Bist du schon einmal mit ihm aufgetreten?«
    »Wir sind in Oulu gewesen.«
    »In Oulu«, sagte Sonja.
    Ich sagte: »Bei der Weltmeisterschaft.«
    »Klar.«
    Sonja nickte. Martin hatte uns von dem finnischen Ort erzählt.
    Ich wartete. Vor mir standen nebeneinander wie Rekruten zwanzig junge Männer, regungslos, womöglich kurz vor dem Verdursten. Wahrscheinlich hatten wir einen Fehler gemacht, wir hätten Martin mitbringen müssen, ihn kannten sie, er war einer von ihnen, an der Gitarre wie am Tresen.
    »Wie heißt du?«, fragte ich. Nichts fiel mir in meinem Beruf schwerer, als Fragen zu stellen, und seien sie noch so schlicht, ich hörte lieber zu. Zuhören war ergiebiger, das hatte ich in meinen mehr als zwanzig Jahren bei der Kriminalpolizei gelernt. Aber
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