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Süden und der Luftgitarrist

Süden und der Luftgitarrist

Titel: Süden und der Luftgitarrist
Autoren: Friedrich Ani
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Verwandter, ein Freund – eine Vermisstenanzeige aufgab und damit den Polizeiapparat in Gang setzte. Das war im Fall Edward Loos bisher nicht geschehen, und bei allem Respekt vor Martin Heuers langjähriger Erfahrung als Kriminalist hätte Thon keine Zeile ans Landeskriminalamt geschickt, wo ein Kollege die Informationen ins INPOL-System eingab und ans BKA zum Abgleich mit den Daten unidentifizierter Toter und unbekannter hilfloser Personen weiterleitete. Die Bearbeitung eines Vermisstenfalls führte trotz der Computertechnik noch immer zu Stapeln von betipptem oder ausgedrucktem Papier. Unzählige Fernschreiben und Faxe, in unterschiedlichen Farben und Größen, erreichten täglich die Dienststellen, und wann immer wir es für angebracht hielten, versuchten wir eine vorschnelle Vermisstenanzeige zu vermeiden. Das war den Angehörigen schwer zu vermitteln, aber wenn es klappte, dann kehrte der Vermisste meist zurück, bevor wir das erste Blatt eingespannt hatten. Viele Kollegen benutzten weiterhin die Schreibmaschine, oft aus dem schlichten Grund, weil in einer Inspektion nicht genügend Computer vorhanden waren.
    Elf Seiten umfassten Martins Gesprächsnotizen und obwohl sie keinen direkten Hinweis auf einen möglichen Aufenthaltsort des verschwundenen Architekten enthielten, hatte ich beim Lesen den Eindruck, diese Aussagen bildeten ein Mosaik von Geheimbotschaften, von denen die meisten Befragten nichts ahnten und die doch die ganze Geschichte der Abwesenheit von Edward Loos erzählten.
    Alina Meyerlink, neunundzwanzig, Architektin in der Bürogemeinschaft Bachmann-Vogl-Loos, vermutlich Geliebte von Edward Loos: »Das ist lustig, wenn Sie sagen, er ist verschwunden, das passt zu ihm.«
    Martin Heuer: »Erklären Sie mir das!«
    Alina: »Er ist doch jetzt in gewissem Sinn unsichtbar, nicht? Ich meine, er ist Spezialist für das Unsichtbare, seine Entwürfe sind so, Glas, Zwischenräume, Auslassungen, er ist derjenige bei uns, der immer zuerst fragt: Was kann man weglassen. Am Anfang fand ich ihn ziemlich merkwürdig.«
    MH: »Warum?«
    Alina: »Weil er sich nicht darum gekümmert hat, was die anderen sagen. Und Sie müssen wissen, er ist nicht der Wichtigste im Team, bitte verstehen Sie mich nicht falsch, nicht der Wichtigste heißt nicht, er wär nicht wichtig, er ist wichtig, aber Ludger und Jens sind diejenigen, die am meisten nach außen wirken, sie machen die Verträge, sie entwickeln die Grundkonzepte, sie repräsentieren das Büro in der Öffentlichkeit.«
    MH: »Ludger Vogl und Jens Bachmann.«
    Alina: »Umgekehrt, Ludger Bachmann und Jens Vogl, sie haben die Bürogemeinschaft gegründet, Edward ist später dazugekommen.«
    MH: »Beschreiben Sie ihn als Menschen.«
    Alina: »Unauffällig. Das ist mir jetzt so rausgerutscht. Aber es stimmt, er macht nicht viel her von sich, erst hab ich gedacht, er ist unsicher, er bringt es nicht, ich meine, in diesem Beruf haben Sie wenig Chancen, wenn Sie introvertiert sind, das ist jedenfalls meine Erfahrung, obwohl ich erst zwei Jahre in dem Büro arbeite, Jens und Ludger sind extrovertiert, sehr wach, was potenzielle Auftraggeber angeht, sie reisen viel, sehen sich um, Edward gar nicht. Er verreist praktisch nie, er arbeitet fünfzehn Stunden am Tag und dann sitzt er noch zwei, drei Stunden am Computer und besorgt sich Informationen aus dem Internet.«
    MH: »Hat er kein Privatleben?«
    Alina: »Wir arbeiten alle sehr viel, besonders in diesen Zeiten. Personal ist teuer, die öffentliche Hand vergibt weniger Aufträge, die Sparmaßnahmen treffen uns genauso wie jeden anderen Berufszweig, wir müssen viele Kompromisse machen.«
    MH: »Hat Edward Loos eine Freundin?«
    Alina: »Wir waren mal zusammen, aber ich möcht eigentlich nicht darüber sprechen.«
    MH: »Hat er Sie verletzt?«
    Alina: »Nein. Ich weiß nicht. Wir sehen uns immer noch manchmal. Ich weiß nicht, das ist mir zu privat.«
    MH: »Haben Sie das Wort Luftgitarre schon mal gehört?«
    Alina: »Luftgitarre? Was soll das sein?«
    HM: »Es gibt Jugendliche, die tun so, als würden sie zur Musik Gitarre spielen.« Alina: »Ach so.«
    MH: »Es gibt auch Erwachsene, die das tun.« Alina: »Erwachsene Männer, meinen Sie?« MH: »Ja.«
    Alina (nach einer Pause): »Edward? Er macht das auch?«
    MH: »Ja.«
    Alina: »Davon weiß ich nichts, das hab ich nie mitgekriegt. Ehrlich? Aber ist das verboten? Wieso ist das so wichtig?«
    MH: »Wissen Sie, warum Edward Loos nach München gereist ist?«
    Alina: »Nein, wir
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